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Letzte Zuflucht Luxusbunker: Wie sich reiche Amerikaner auf die Endzeit vorbereiten

von Felix Holtermann
Handelsblatt vom 17.04.2025

Inhalt: Der Artikel stellt verschiedene US-amerikanische Geschäftsmodelle um Prepping (Vorbereitung für einen angeblich drohenden Untergang der Zivilisation) vor. Schwerpunkte sind die Prepping-Phantasien der Tech-Milliardäre sowie Zuckerbergs Landraub auf Hawaii.

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt. Tabellen und Grafiken werden in einem separaten PDF zugänglich gemacht.


Letzte Zuflucht Luxusbunker: Wie sich reiche Amerikaner auf die Endzeit vorbereiten

Tief unter der Erde will die US-Elite den Kollaps überleben. Immer mehr Bürger machen mit – und befeuern eine diskrete Industrie der Angst.

Idyllisch gelegen ist er, der Bunker. Hinter dem Eingang, getarnt als Garage, plätschert ein Bach. Der Horizont ist weit, der Himmel blau, die Luft eisig-frisch. Hier, in der Einöde Indianas, zwei Autostunden von Indianapolis entfernt, will Logan Moore das „Ereignis“ überleben, wie er mir erzählt. „Es ist keine Frage, ob es passiert, sondern nur, wann“, sagt der Unternehmer, der in Wirklichkeit anders heißt, als er die Garagentür aufschließt. Innen steht ein Truck, über ihm hängt eine Seilwinde, und daneben, unter einer unscheinbaren dunkelgrünen Stahlklappe, geht es abwärts.
Die Treppe ist aus Eisen und windet sich drei Stockwerke in die Tiefe. Mit jedem Meter wird es wärmer. Schließlich steht Moore vor einer gigantischen Stahltür. Als er auf den obersten von vier Knöpfen drückt, ertönt aus der Ferne ein dumpfes Klacken. Dann setzt sich eine Maschine in Bewegung, nach weiteren zehn Sekunden öffnet sich langsam die Tür. „Willkommen in der Festung“, sagt Moore.
Als die Tür hinter uns zufällt, wird es still. Wo bin ich hier hineingeraten? Als Silicon-Valley-Korrespondent bin ich eigentlich für die Zukunft zuständig, für neue Technologien und den Griff nach den Sternen. Bunker gehörten bisher nicht dazu.
Allerdings: Spätestens seit ich 2024 von New York nach San Francisco umgezogen bin, begegnet mir immer öfter ein neuer, düsterer Ton. Zum Beispiel unter den Vordenkern der Künstlichen Intelligenz (KI). Geht es nach den KI-Vordenkern, dann macht die Künstliche Intelligenz uns entweder alle reicher – oder sie stürzt die Welt in den Abgrund.
Mit KI ließen sich „hochgradig süchtig machende Drogen“ produzieren, künstliche Erreger, „der nächste Covid-Stamm, zehnmal leichter übertragbar“, Wahlmanipulation, Wirtschaftskrisen, sagt Mustafa Suleyman, Chef des Technologieunternehmens Inflection AI. Am Ende drohe ein „Angriff auf die Zivilisation“ oder gleich auf die Spezies Mensch.
Dieser Sound ist weitverbreitet in der Tech-Elite. Auch OpenAI-Chef Sam Altman, Schöpfer von ChatGPT, ergeht sich in Doomsday-Fantasien. Für Tesla-Chef Elon Musk ist der drohende Untergang der irdischen Zivilisation der wichtigste Grund, warum die Menschheit dringend den Mars besiedeln muss. Und auf Hawaii hat sich der wohl berühmteste Prepper der Welt, Meta-Chef Mark Zuckerberg einen Mega-Bunker gebuddelt. So werden es mir zumindest Anwohner berichten.
Auch US-Präsident Donald Trump warnt seit Jahren vor dem „amerikanischen Gemetzel“, dem Ausverkauf der USA durch korrupte, woke Eliten und einem Aufstieg sinistrer Mächte.
Die Besitzer von Luxusbunkern markieren die soziale Elite innerhalb einer weit größeren sozialen Gruppe – der wachsenden Zahl sogenannter „Prepper“, die sich mit den unterschiedlichsten Strategien auf Kriege, Krisen und den Untergang der Zivilisation vorbereiten. Das Ziel: überleben, wenn fast alle anderen sterben müssen. Einige dieser Prepper lehnen Bunker als untauglich ab – und zwar unabhängig vom eigenen Kontostand. Aber dazu später mehr.
Nun wäre Amerika nicht Amerika, wenn sich die Angst vor der Apokalypse – und das Versprechen, wie Phoenix aus der Asche unbeschadet aus ihr hervorzugehen – nicht längst zu einem Milliardengeschäft entwickelt hätte. Bis 2034 soll der US-Markt für „Desastervorsorge“ auf über 100 Milliarden Dollar anwachsen (plus acht Prozent pro Jahr), prognostiziert das Analysehaus Precedence Research. Und laut Schätzungen werden rund 20 Millionen Amerikaner als „Prepper“ oder „Survivalisten“ eingestuft, eine Verdopplung gegenüber 2017.
Wer verdient am Geschäft mit der Angst? Woher kommt der Glaube an den nahen Untergang? Und was sagt er eigentlich über die amerikanische Gesellschaft der Gegenwart aus?
Es ist der Beginn einer neunmonatigen Recherche. Wer in die Prepping-Szene vordringen will, braucht Zeit. Denn, so viel lerne ich schnell: Die erste Regel des Preppings lautet: Sprich nicht über das Prepping!


I. Der Bunker

Erst dank eines privaten Tipps finde ich den Millionär, der mir seinen Bunker zeigt. Hinter der Stahltür, tief unter dem Erdboden Indianas, wartet die Dekontaminationsschleuse auf mich. „Wenn wir die Schweizer Luftanlagen einschalten, steht das gesamte Gebäude unter Überdruck“, sagt Bunkerbesitzer Moore. „So kann keine Luft von außen eindringen. Denn die ist schmutzig, voller nuklearer, chemischer, biologischer Materialien.“
Durch einen grauen Gang geht es geradeaus, dann weitet sich hinter einer weiteren Tür plötzlich der Raum. Die Decke ist hier hoch wie in einer Turnhalle, der Raum so groß wie zwei Tennisfelder. Warum so viel Platz?
Der Grund ist die Geschichte des Bunkers. Moore zeigt mir alte Schwarz-Weiß-Fotos des Baus. Der war einst eine „AT&T Underground Coaxial Cable Station“. Geplant wurden die Anlagen während des Kalten Kriegs in den 1960er-Jahren, „abseits von Großstädten, für den Fall eines Atomangriffs“, wie Moore erklärt. Offiziell verwaltet wurden sie von AT&T, dem US-Telekomkonzern. Die Planung kam jedoch aus dem Pentagon.
Die Idee, so Moore: „Wenn die Bomben fallen, kommt der EMP-Schock“ – ein elektromagnetischer Impuls, der bei atomaren Explosionen auftritt. „Dann sind alle oberirdischen Kommunikationsmittel außer Betrieb.“
Unterirdische Notfallleitungen, betreut von mehreren Hundert solcher Bunker aus, hätten nach dem Atomschlag die Regierungsgeschäfte am Laufen halten sollen. „Diese Anlage hält einem Fünf-Megatonnen-Treffer stand“, sagt Moore und klopft gegen die fast einen Meter dicken Stahlbetonwände.
Mitte der 90er-Jahre wurden die Bunker stillgelegt. 2012 kaufte Moore seinen – und baute ihn ein Jahrzehnt lang um, wie er sagt. Nun geht es nicht mehr um den Schutz von Telefonleitungen, sondern von Menschen.
Moore führt mich durch die 3048 Quadratmeter große Anlage. Das Herzstück ist die über sieben Meter hohe Halle, mit einer modernen Küche mit zwei Kühlschränken, zwei Herden und zwei Spülmaschinen. „Das ist Kirschholz-Schreinerarbeit“, sagt Moore stolz, und zeigt auf die Einbauschränke. Schließlich wollten gerade „Frauen etwas Schönes haben“.
Drumherum befinden sich Schlafräume, mehrere Badezimmer – Badewannen für die Besitzer, Duschen für Sicherheitsleute und andere Bedienstete. Dazu eine Bibliothek, ein Fitnessbereich und ein Gemeinschaftsraum mit Billardtisch und Tischtennisplatte. Ausgelegt sei der Bunker für 36 Personen, so Moore. Die Gemeinschaftsbereiche seien offen, die Privaträume geschlossen angelegt, alles für die Psyche: „Die Leute werden extrem gestresst sein, wenn sie hier unten sind.“
Nicht nur in der Küche ist alles doppelt ausgelegt, sondern auch bei der Energie- und Wasserversorgung. Zwei 76 Meter tief gegrabene Brunnen versorgen den Bunker (bei einem kann sogar per Hand gepumpt werden), inklusive Anlagen zur Wasseraufbereitung.
Strom sichert ein 30.000 Gallonen fassender Propangastank in Verbindung mit einem 65-Kilowatt-Generator. „Das Ding kann etwa 10.000 Stunden ohne Wartung laufen“, sagt Moore, und klopft gegen den Generator. Selbst die Wahl des Brennstoffs ist eine strategische Entscheidung: „Diesel hält sich keine drei Jahre. Propangas hält ewig.“
Ein Lagerraum, zu dem nur Moore als Besitzer den Schlüssel hat, ist vollgepackt mit gefriergetrockneten Lebensmitteln. Zwölf Personen können sich hier ein Jahr lang versorgen, mit 2000 Kalorien pro Tag. Sogar an den Truthahn für Thanksgiving ist gedacht.
Im Medizinbereich finden sich Gasmasken, Verbände und Medikamente. Und hinter einer zwei Tonnen schweren Tresortür steht ein weiterer Safe – für Waffen und Wertgegenstände, wie Moore erklärt. Auch hier gibt es nur einen Schlüssel.
Moores Kinder waren anfangs skeptisch gegenüber seinem Herzensprojekt. „Vor zehn Jahren dachte jeder, ich wäre verrückt geworden“, gibt er zu. Wie viel er in den Bunker investiert hat? Moore lacht nur. Aber gelohnt habe es sich: „Er ist mein Vermächtnis. Denn er wird nie verschwinden. Der wird noch in 500 Jahren hier sein.“ Seine Stimme halt durch die leeren Gänge, in der Ferne brummt der Generator. Als ich wieder ans Tageslicht komme, atme ich erst einmal tief durch.
Moore dreht sich noch einmal um und blickt liebevoll auf die Notausstiegsluke: „Das hier ist Army-Qualität, so was wird heute gar nicht mehr gebaut.“ Ich solle mir bloß keinen Schrott andrehen lassen, etwa von „den Typen aus Texas“, warnt er. „Und lass uns ansonsten beten, dass alles gut wird.“


II. Das Business

Noch am Flughafen von Indianapolis fange ich an zu googeln. Hinter „den Typen aus Texas“ verbirgt sich die Firma Atlas Survival Shelters von Ron Hubbard. 1,5 Millionen Follower hat er im Internet, seine Fabrik in Sulphur Springs wirbt auf riesigen Plakatwänden am Highway.
Erst nach mehreren Anläufen ruft er mich zurück. Mit Medien aus Europa habe er schlechte Erfahrungen gemacht, sagt Hubbard und: „Wir sind der weltgrößte Bunkerbauer.“ An 50 Bunkern gleichzeitig werde in seiner Fabrik geschweißt, Durchschnittspreis: 300.000 Dollar. Das kleinste Modell heißt „Nadosafe“. Platz für ein Einzelbett und ein Klo, das war’s. Dafür ist er schon für 20.000 Dollar zu haben. Nach oben gibt es keine Grenzen: Die „Platinum“-Serie bietet Platz für Kino, Pool und Treibhaus.
Wie viele er seit dem Start 2011 abgesetzt hat, könne Hubbard schon gar nicht mehr zählen. Die Interessenten hätten viele unterschiedliche Hintergründe, „vom TV-Star bis zum Tech-Milliardär“. Viele seien pro Trump, pro Jesus und pro Waffen. Nur eine Gruppe ist laut Hubbard kaum darunter: Anhänger der demokratischen Partei. Dafür erhalte er seit Beginn des Ukrainekriegs deutlich mehr Anfragen aus Deutschland.
Sogar einen Bunker für Mark Zuckerberg habe er geplant, vor fünf oder sechs Jahren, 232 Quadratmeter groß. Ob Zuckerberg ihn tatsächlich gebaut habe? Wisse er nicht, sagt Hubbard. „Ich habe nur beraten und den Bunker am Computer entworfen.“ Das Honorar: fünfstellig.
Ob von Hubbard geplant oder nicht: Der angebliche Bunker von Zuckerberg, dem Herrschers über Facebook, WhatsApp und Instagram, findet sich inzwischen schon bei Google Maps. Und zwar im US-Bundesstaat Hawaii auf der Insel Kauai. „Sag schöne Grüße“, trägt mir Hubbard auf.


III. Die Insel

Kauai ist ein tropisches Paradies – türkises Wasser, üppiges Grün, sanfte Hügel. Diese idyllische Landschaft war Schauplatz eines modernen Landraubs. „Als Captain Cook 1778 hier landete, war das der erste Kontakt zwischen Hawaiianern und Europäern“, erklärt Healani Sonoda-Pale, Hawaiianerin und Wissenschaftlerin an der Universität Hawaii. „Von da an wurden wir dezimiert.“
Wir stehen vor einer sechs Meter hohen Steinmauer. Sie zieht sich kilometerweit entlang der Nordküste Kauais und schirmt ein riesiges Anwesen ab. Dahinter liegt Zuckerbergs Reich. Seit 2014 hat er hier rund 1500 Hektar Land für über 100 Millionen Dollar erworben, hat eine Rinderzucht aufgebaut und so manches andere.
„Es ist wie die Berliner Mauer“, sagt Sonoda-Pale, als wir vor der massiven Grundstücksgrenze stehen. Sie erklärt: „Auf dem Grundstück, das er gekauft hat, befanden sich traditionelle, sogenannte Kuleana-Ländereien, die 1850 vom hawaiianischen König Kamehameha III. an Einheimische vergeben wurden.“ Die Rechte der einfachen Leute an diesen Ländereien seien „unveräußerlich“, betont sie, „und nicht von den Ländereien zu trennen“.
Um die Vorgabe zu umgehen, habe sich Zuckerberg eines Tricks bedient: Mithilfe eines Strohmanns – eines einheimischen Familienmitglieds – habe er auf einer Auktion das Stammesland aufgekauft, ohne sich zu erkennen zu geben. Das Familienmitglied habe seiner Familie gesagt, er wolle das Land für sie sichern, so Sonoda-Pale: „Die Familie war am Boden zerstört, als die Wahrheit herauskam.“
Zuckerbergs Bauboom ließ die Immobilienpreise drastisch steigen. „Wir müssen jetzt über eine Million Dollar für ein durchschnittliches Haus bezahlen“, erklärt Sonoda-Pale. „Das ist die Entfremdung von unserem eigenen Land.“
Insgesamt soll Zuckerberg 270 Millionen Dollar auf Kauai ausgegeben haben, inklusive eines mehrstöckigen „Doomsday-Bunkers“, wie US-Medien übereinstimmend berichteten.
Zuckerberg dementiert den Bunkerbau. Doch als ich mich auf Kauai umhöre, treffe ich schnell Anwohner und andere Einheimische, die von umfangreichen unterirdischen Arbeiten berichten. Einer erzählt, ein Verwandter von ihm habe die Elektrik im mehrstöckigen Bunker verlegt: „Da ist alles drin: Schlafräume, Kino, Fitnesscenter.“ Nur die Motivation, die versteht mein hawaiianischer Gesprächspartner nicht: „Warum baut er einen Bunker? Du kannst dich vor Gott nicht verstecken.“


IV. Die Ideologie

Zur Frage nach dem „Warum“ kann Margaret O’Mara von der Universität des US-Bundesstaats Washington etwas sagen. Sie hat unter Bill Clinton im Weißen Haus gearbeitet, viele Jahre zum Silicon Valley geforscht – und eine eigene Theorie zur Motivation der Superreichen: „Wenn man nicht mehr weiß, wohin mit seinem Geld, ergibt es Sinn, in einen Bunker zu investieren.“
O’Mara glaubt, dass der Prepping-Boom ohne den Aufstieg der Tech-Elite nicht zu erklären sei: „Wir erleben eine außergewöhnliche Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger“, spätestens seit der Finanzkrise. Die Tech-Vordenker seien oft „sozial isoliert“ aufgewachsen und dann sehr jung zu einem fantastischen Vermögen gekommen. In der Folge hätten sie nie gesellschaftliche Verantwortung gelernt. „Nun sind sie ganz oben und nur noch umgeben von Menschen, die auf ihrer Gehaltsliste stehen.“
Die Mischung aus extremem Reichtum, frühem Erfolg und einem ausgeprägten Selbstbewusstsein führt laut O’Mara zu einem problematischen Weltbild: „Es gibt diese ,Technologie über alles‘-Ideologie und die Vorstellung, dass die üblichen Regeln für geniale Unternehmer nicht gelten.“
Die Folge: zum einen weniger Fokus auf das Gemeinwohl, sagt O’Mara, etwa verglichen mit den Superreichen des 19. Jahrhunderts. Andrew Carnegie habe Tausende von öffentlichen Bibliotheken gestiftet, John D. Rockefellers Stiftung den gefährlichen Hakenwurm-Parasiten in den Südstaaten ausgerottet. Und nun? „Du schaust dir die heutigen Superreichen an und siehst Raketen und Bunker“, kritisiert O’Mara. „Wirklich? Das ist euer öffentliches Gut, das ihr der Menschheit hinterlassen wollt?“
Das Kuriose: Die Superreichen befeuern die Trends, die angeblich den von ihnen befürchteten Zusammenbruch der Zivilisation herbeiführen, letztlich selbst, so die Professorin: durch den Aufbau sozialer Netzwerke, die die politische Spaltung vorantreiben, durch exzessive Steuervermeidung. „Gleichzeitig versuchen sie, sich vor den Folgen abzuschirmen.“
Auch bei Superreichen abseits des Valleys greife eine technolibertäre, staatsskeptische Ideologie um sich: der sogenannte „Longtermism“, zu Deutsch etwa „Langfristigkeitismus“. Die Idee wurde 1984 vom Oxford-Philosophen Derek Parfit entwickelt. Vereinfacht gesagt gehen ihre Anhänger davon aus, dass wir uns nicht nur um die Sorgen und Nöte der heute lebenden Menschen kümmern müssen, sondern auch um die zukünftiger Generationen. Bis zu dem Tag, an dem die Sonne erlischt, werden vielleicht 80 Billionen oder noch mehr Menschen gelebt haben. Dem gegenüber wirken die rund acht Milliarden Menschen, die derzeit die Erde bevölkern, ziemlich unbedeutend. Angesichts dieser Relation sollten wir, so Parfits Schlussfolgerung, kommende Leben priorisieren.
Es entsteht eine Ethik, die der langfristigen Zukunft der Menschheit Vorrang vor gegenwärtigen Einzelschicksalen einräumt – und die die Bedeutung herausragender Visionäre betont, die als Einzige die kommenden Bedürfnisse der Menschheit durchschaut haben. Wenn es also eine heutige Gruppe gibt, die überleben muss, dann sie. Der eigene Luxusbunker wird so zum Dienst an der Menschheit.
Aber ist der Ansatz, den Zusammenbruch unserer Zivilisation hinter möglichst dicken Wänden zu überleben, überhaupt der richtige? Oder sind Zuckerberg und Co. auf dem Holz- beziehungsweise Betonweg? Um die Frage Bunker oder nicht (und wenn ja, welche Bauart) ist unter Preppern ein wahrer Glaubenskrieg ausgebrochen. Die Antwort hängt vor allem von den Annahmen darüber ab, wie der kommende Zusammenbruch ablaufen wird: Atomschlag? Bürgerkrieg? Abgleiten in die Anarchie?


V. Die Streitfrage

Fangen wir mit den Massenprodukten von Atlas aus Texas an. Brian Camden zum Beispiel, Chef des Wettbewerbers Hardened Structures, kritisiert Hubbards Bunker: „Er vergräbt letztlich stählerne Schiffscontainer aus Indien in der Erde. Das hilft dir etwa bei einem EMP-Angriff gar nichts.“ Daher seien auch die aufgerufenen Preise von Atlas viel zu niedrig. „Du brauchst einen Betonbunker“, so Camdens Credo.
Im Schnitt koste ein Bunker von Hardened Structures 15 bis 25 Millionen Dollar. Sei der Ort besonders abgelegen, etwa in den Bergen – was empfehlenswert sei –, dann steige der Preis. Und das Wichtigste sei, keine „Amateure“ zu beschäftigen. Eine Konkurrenzfirma habe Propanflaschen in ihren Bunker eingebaut. „Vor zwei Jahren ist eine explodiert. Die Bunkerbesitzer waren sofort tot“, sagt Camden.
Genauso naiv sei der neueste Bunkertrend vieler Multimillionäre: die Umwidmung alter Raketensilos. „Klingt cool. Aber die sind voller Bleifarbe und Asbest.“ Überhaupt sei jeder Bunker nur die halbe Miete: Mindestens genauso wichtig sei das „Anti-Meuterei-Protokoll“ – ebenfalls eine Leistung von Camdens Firma.
Camdens Erzählung geht so: Ein atomarer Raketenangriff auf die USA sei vergleichsweise unwahrscheinlich. Realistischer sei der Zusammenbruch der sozialen Ordnung: „Für die brauchst du eine Strategie!“ Wie bringe ich meine Familie in den Bunker? Wie meine Angestellten? Wie behalte ich über sie das Kommando?
Lösungsideen gebe es viele, so Camden. Einige Superreiche hätten ihn gefragt, ob Halsbänder wie bei Hunden sinnvoll seien, um aufmüpfige Wachleute per Elektroschock unter Kontrolle zu halten. Camden hält davon nichts: Vielmehr müsse man seine Untergebenen zu Mitverschwörern machen: etwa, indem sie Partner und Kinder in den Bunker mitnehmen können. Entsprechend groß muss er sein.
Helfen könne auch, den Zugang zu Nahrung, Wasser und Schusswaffen biometrisch zu sichern. Denn: „Nahrung und Sicherheit sind Anreize für Loyalität. Und reiche Menschen sind besessen von Loyalität.“
Und wann kommt er nun, der Untergang? Camden hat es von einem Zukunftsforscher ausrechnen lassen: wahrscheinlich zwischen 2029 und 2034. Viel Zeit bleibt also nicht mehr, um gegenzusteuern. Gut für Camden, Hubbard und Co.: Das Bunkergeschäft brummt.
Da gibt es Berater wie Todd Savage, Ex-Marine und Gründer von „Survival Retreat Consulting“. Er vermittelt Bestandsbunker und trainiert Superreiche für den Ernstfall.
Da wären „Survival Communities“ wie Terra Vivos, die auf einer alten Airforce-Base 575 bröselnde Flugzeughangars als „Back-up-Plan für die Menschheit“ vermarkten wollen.
Und da wären Projekte wie „Aerie“, ein opulenter 300-Millionen-Dollar-Bunkerkomplex in Virginia, der 625 der wohlhabendsten Menschen der Welt beherbergen soll. Eine Einliegerwohnung kostet bis zu 20 Millionen Dollar.
Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Was bringt das im Ernstfall? Und was machen Doomsday-Propheten, denen kein Luxusbunker zur Verfügung steht? Vielleicht, so lerne ich, sind sie sogar besser dran.


VI. Die Messe

„Ein Bunker? Keine wirklich schlaue Idee“, sagt Bill „Wenn die Scheiße den Ventilator trifft, sitzt du darin wie auf dem Präsentierteller.“
Ich bin nach Colorado geflogen. In einem Vorort von Denver findet die „Sportsman & Survival Show“ statt. Greeley liegt am Fuß der Rocky Mountains. Amerikas berühmtestes Hochgebirge gilt als wilde Naturlandschaft voller Bären, Pumas und echter Kerle. Ein solcher sitzt jetzt vor mir. Seinen Nachnamen will Bill nicht nennen, seine Handynummer auch nicht. Aber dafür hat er viel zu erzählen.
Bill war schon Prepper, als es noch nicht cool war. Er ist 77 Jahre alt, trägt buschigen Bart und bereitet sich seit Jahrzehnten auf den Weltuntergang vor. Einst war Bill Polizist und Bürgermeister seiner Kleinstadt. Heute fährt er auf Prepper-Messen und verkauft das nötige Zubehör, darunter Messer, Munition und Überlebensratgeber.
Bill spricht mit der Gelassenheit eines Mannes, der sich längst mit dem kommenden Chaos arrangiert hat. Was genau das „Ereignis“ auslösen wird, den Ernstfall?
Bill lacht: „Wenn ich die Zukunft vorhersagen könnte, wäre ich nicht mehr hier.“ Wahrscheinlich werde der Kollaps durch die Regierung ausgelöst, ihr vertraut Bill „seit vielen Jahren nicht mehr“. Eine „korrupte Weltregierung“ arbeite gegen die Interessen der Mehrheit. „Die Republikaner sind doch genauso schlimm wie die Demokraten“, sagt Bill. Neben Gott verlasse er sich nur auf einen, sich selbst: „Prepping ist meine Religion.“
Auf der Prepper-Messe gibt es Solarmodule, Lithium-Ionen-Batterien, Wasserfilter, Nahrungsvorräte, Jagdmesser, Maschinengewehre, aber auch originale Reichskriegsflaggen und Sowjetorden. In der Ecke verkauft ein Mann Anabolika, „damit du stark bist, wenn es drauf ankommt“. Am Stand daneben kann man in „krisensichere“ Kryptowährungen investieren oder in Silberbarren, abbrechbar wie Toblerone, „um kleine Beträge zu bezahlen, wenn das Papiergeld nichts mehr wert ist“. Eine Frau in Latzhose verteilt Flyer: „Jesus kommt! Und zwar bald.“
Und wenn schon – Bill hat vorgesorgt: „Ich habe genug Nahrung für etwa anderthalb bis zwei Jahre für mich und meinen Sohn deponiert.“ Natürlich nicht zu Hause, sondern in den Bergen, im Wald, in Dutzenden Verstecken.
Die Reichen würden am Tag X schon am Weg zu ihren Bunkern scheitern, glaubt Bill: „Die Straßen werden dicht sein, die Flugplätze unbenutzbar.“ Bewegen könne man sich dann nur noch mit einem Enduro, einem Off-road-Motorrad, abseits der großen Straßen. Stromgenerator? Security? „Alles Quatsch“, sagt Bill. Überleben würden diejenigen, die in der Wildnis zurechtkämen, die fischen und jagen könnten – und sich möglichst von ihren Mitmenschen fernhielten.
„Als Erstes musst du raus aus der Stadt“, erklärt Bill. „Die kollabieren als Erstes.“ Eine Farm helfe wenig: „Zu der kommen sie schnell und werden sie dir wegnehmen.“ Ein Bunker sei noch idiotischer: „Was glaubst du, wie lang es dauert, bis sie vor deiner Tür stehen?“
Bills Credo: „Du musst dich auf verschiedene Szenarien vorbereiten: EMP-Angriffe, Nuklearangriffe, soziale Unruhen, Zusammenbruch des Stromsystems.“ Persönlich halte er EMP-Attacken für am wahrscheinlichsten, „weil sie unsere Infrastruktur und Zivilbevölkerung am Leben erhalten wollen“.
Sie: Das sind die fremden Mächte, die die USA zu zerstören trachten. Iran, Russland, vielleicht sogar China. „Ich denke, das Risiko eines Atomkriegs ist jetzt höher als seit langer Zeit, wegen der Ukraine, wegen Putin.“
Auch vor der Vernetzung mit Gleichgesinnten warnt Bill. „Sei auf der Hut, wenn du Prepper-Gruppen beitrittst. Was, wenn die Ressourcen knapp werden? Wenn sie plötzlich entscheiden, dass du nicht mehr benötigt wirst, deine Ausrüstung aber schon? Sei misstrauisch!“
Auf der Rückfahrt durch die Rockys türmen sich dunkle Wolken auf. Ja, schräge Typen habe ich einige getroffen in den vergangenen Monaten. Aber was, wenn da doch etwas dran ist? Neuerdings rät sogar die deutsche Innenministerin Nancy Faeser den Bürgern, Notvorräte anzulegen, und den Schülern, sich auf das Schlimmste einzustellen. Kann es schaden, sich auf die große Katastrophe vorzubereiten? Und was kommt eigentlich danach?


VII. Die Zukunft

Am nächsten Morgen, in der Sonne von San Francisco, klingelt mein Handy. Unbekannte Nummer. Es ist Bill. „Ich glaube, du bist okay“, sagt er. „Ich will dir noch was sagen.“ Ein Buch müsse ich lesen: „Patriots“ heißt es. Der Untertitel kündigt einen „Überlebensroman im kommenden Zusammenbruch“ an, geschrieben von James Wesley, Chef des „Survival Blog“. In der Prepperszene genießt es Kultstatus.
Ein zweiter Tolstoi ist Wesley nicht, die Handlung schnell erzählt: Nach einem Wall-Street-Zusammenbruch und einer Hyperinflation kämpft eine aufrechte Gruppe amerikanischer Patrioten auf einer „Safe-Haven“-Farm in Nordidaho gegen „Horden von Flüchtlingen und Marodeuren“. Die Handlung ist vermengt mit Überlebenstipps. Das Kapitel zur Hausgeburt etwa steuerte Wesleys Frau bei, laut Vorwort „in liebevoller christlicher Unterordnung zu ihrem Ehemann“.
Am Ende des „Zweiten Bürgerkriegs“ treten die neu gegründeten USA aus der UNO aus, streichen Sozialstaat, Entwicklungshilfe und alle Bundessteuern und kehren zu den Gesetzen des Jahres 1932 zurück. Jeder aufrechte Bürger darf Waffen tragen und Panzer fahren. Das Jahreseinkommen wird auf 10.000 Gold-Dollar begrenzt. Statt über das Internet kommuniziert man per Videokassette.
Zumindest die beiden letzten Punkte dürften Mark Zuckerberg gar nicht gefallen, denke ich und klappe das Buch zu.


Einschübe

1500 Hektar umfasst das Anwesen von Mark Zuckerberg auf Hawaii. Unter anderem baut er hier eine Rinderzucht auf.


Bildunterschriften

Meta-Chef Mark Zuckerberg, OpenAI-Gründer Sam Altman, Multi-Unternehmer Elon Musk; Ansichten aus Luxusbunker in Indiana: Überleben, wenn die meisten anderen sterben müssen.

Bunkerkonzept von Atlas Survival Shelters, Atlas-Chef Ron Hubbard: Seit der Ukraine-Invasion verstärkt Anfragen aus Deutschland.

Als Garage getarnter Eingang und Innenansichten des Luxusbunkers in Indiana: Badewannen für die Besitzer, Duschen fürs Personal.

Zufahrt zum und Begrenzung des Anwesens von Mark Zuckerberg auf Kauai im US-Bundesstaat Hawaii: Buddelt der Meta-Chef hier an seinem Mega-Bunker?

[Autor] mit der hawaiianischen Wissenschaftlerin und Zuckerberg-Kritikerin Healani Sonoda-Pale, Landschaft auf der Insel Kauai: Schauplatz eines modernen Landraubs


Info-Kästen
Bücher zum Thema

Douglas Rushkoff: „Survival of the Richest“, Suhrkamp
Ein kurzweiliger Einblick in die Fluchtfantasien der Tech-Milliardäre. Wer sich mit Luxusbunkern beschäftigen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

Margaret O‘Mara: „The Code“, Penguin
Wie wurde die Elite aus dem Silicon Valley so einflussreich? Und was bedeutet das für unser aller Zukunft? Die Historikerin führt gut lesbar durch die Geschichte des wohl wichtigsten Tals der Welt.

James Wesley: „Patriots“, Ulysses
Endzeit-Roman vom Herausgeber des „Survival Blogs“, einer der größten US-Prepping-Seiten. Kein literarischer Hochgenuss, aber ein authentischer Einblick in die Prepper-Psyche.