Was wurde aus Team Africa?
von Joshua Kocher
GEO vom 20.06.2025
Inhalt: 2015 wurde im süddeutschen Müllheim eine Fußballmannschaft aus gambischen Geflüchteten namens „Team Africa“ gegründet, die lokale Berühmtheit erlangte. Der Artikel porträtiert die ehemaligen Mitglieder und ihre Integration in den deutschen Arbeitsmarkt nach 10 Jahren: viele haben erfolgreich eine Ausbildung gemacht oder sind als Hilfsarbeiter tätig, einer wurde abgeschoben, einer lebt in der Schweiz. Der Artikel beleuchtet die Herausforderungen der Integration, unterschiedliche Verläufe und die veränderte Stimmung in Deutschland gegenüber Geflüchteten seit 2015.
Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.
Was wurde aus Team Africa?
Mitte 2015: »Flüchtlingssommer« und Angela Merkels »Wir schaffen das!« In jenen Monaten bildet sich im Badischen eine Fußballmannschaft aus Neuankömmlingen, die meisten sind aus Gambia nach Deutschland gekommen. Die Mannschaft gibt es schon lange nicht mehr. Aber wohin gingen die Männer?
Was wurde aus den jungen Männern? Wie haben es die einen geschafft, hierzulande Fuß zu fassen? Und woran scheiterten die anderen?
Amadou Ceesay greift hinter das Sofa und zieht ein Stück Vergangenheit hervor. Ein kleiner Rollkoffer, die graue Plastikhülle verbeult, die Ecken abgeschlagen, wie bei einem Fundstück vom Flughafen.
Er legt den Koffer auf den Teppich seines süddeutschen Wohnzimmers, surrt den Reißverschluss auf und klappt den Deckel zur Seite. Ein leuchtend-roter Haufen Fußballtrikots kommt zum Vorschein. Einige Trikots sind fleckig, bei anderen blättert die Beflockung ab, in eines hat sich die Glut einer Zigarette gefressen. Es riecht nach Waschpulver und etwas Schweiß.
„Lange her“, sagt Amadou Ceesay.
Vor zehn Jahren, im Sommer 2015, streifte er sich zum ersten Mal eines dieser Trikots über. Nur wenige Tage, nachdem Angela Merkel ihren berühmten Satz gesagt hatte: Wir schaffen das.
Wie Millionen andere hatte auch Amadou Ceesay seine Heimat verlassen, um in Europa sein Glück zu suchen. Seine Reise begann in Gambia, führte durch die Sahara und das Mittelmeer und endete in einer Turnhalle in Müllheim, einer Kleinstadt im Südwesten der Republik, wo er mit Dutzenden anderer Männer auf Asylbescheid und Arbeitserlaubnis wartete. Beides kam nicht, Tage, Wochen, Monate.
Dann hörte er die Geschichte aus dem Nachbardorf.
In Britzingen, einem Winzerdorf im Markgräflerland, hatten Migranten aus Gambia einen alten Bolzplatz hergerichtet und angefangen zu kicken. Sie spielten gegen die Langeweile und das Heimweh. Unter dem Dach eines Dorfvereins meldeten sie sich in der Kreisliga C an und wurden, neben einer Elf aus Babelsberg, zur ersten Flüchtlingsfußballmannschaft Deutschlands. Sie nannten sich Team Africa.
Amadou Ceesay wurde zum Kapitän dieser Mannschaft von Neuankömmlingen, deren Trikots er nun in seinem Wohnzimmer aus dem Koffer zieht. Da ist die Nummer 2, Ibrahima Singhateh, der Kette rauchte und doch rennen konnte wie ein Pferd. Die 8, Edrisa Khan, der anmutig über den Platz tänzelte und hoch hinaus wollte. Die 6, Abubacarr Sawo, der zuverlässige Allrounder. Und dann die 10, sein Trikot: Amadou Ceesay, der Kapitän. Jede Nummer eine Geschichte.
Zwei Jahre lang traten die Spieler des Team Africa in den roten Trikots gegen südbadische Amateurmannschaften an. Begleitet wurden sie von Fernsehkameras und Zeitungsreportern, die sie als Musterbeispiel gelungener Integration bejubelten. Fast wären sie sogar Meister geworden.
Was ist aus den jungen Männern geworden, die voller Zuversicht nach Deutschland kamen? Wie haben es die einen geschafft, hier Fuß zu fassen? Und woran sind die anderen gescheitert? Zehn Jahre später machen wir uns auf die Suche nach ihnen. Das ist die Geschichte von Team Africa.
Amadou Ceesay
#10, Spielmacher
Gegenüber der Kirche in der Müllheimer Innenstadt geben sich Handwerker, Omas und Familienväter den Türgriff der Bäckerei Kirschner in die Hand. Hinter der Theke mit Croissants, Mohnbrötchen und Brezeln führt eine Treppe hinunter in die Backstube.
Dort greift Amadou Ceesay an einem Donnerstagmorgen mit einer Schaufel in einen großen Eimer, schüttet das Mehl in eine Wanne, wiegt es ab und legt ein Schild dazu: Körner Schrötli, so heißen die Brötchen, die daraus entstehen werden.
Seine muskulösen Arme sind voller Mehl, um den Bauch trägt er die weiße Schürze. In der Nacht hat er Nussbrote, Weißbrote und Hefezöpfe gebacken, jetzt will er noch das Mehl vorbereiten, mit dem seine Kollegen am Abend weiterbacken.
Eigentlich war Amadou Ceesay nach Europa gekommen, um Fußballprofi zu werden. „Ich spiele Fußball, seit ich denken kann“, sagt er. „Bei uns in Gambia will jeder der nächste Lionel Messi werden.“ Anfangs glaubte er tatsächlich, es weit bringen zu können. In seiner ersten Saison für das Team Africa schoss er 38 Tore, so viele wie kein anderer Stürmer in der Liga. „Viele Mannschaften aus der Umgebung wollten mich haben“, sagt er. Bald wechselte der damals 18-Jährige fünf Ligen höher.
Etwa zur gleichen Zeit zog er mit einem gambischen Freund zu einem älteren Ehepaar in Müllheim. Deren vier Kinder waren bereits ausgezogen, ihre Zimmer standen leer. Das Haus nennt Ceesay bis heute sein Zuhause, das Ehepaar seine zweiten Eltern. Obwohl er längst woanders wohnt, hat er noch einen Schlüssel, sie feiern Weihnachten zusammen, treffen sich zum Frühstück oder spazieren durch die Weinberge. Ohne ihre Hilfe, sagt er, wäre er nicht dort, wo er heute steht.
Amadou Ceesay spricht nahezu geschliffenes Deutsch und weiß sich zu präsentieren. Als ein Reporter der Lokalzeitung ihn und seine deutschen Gasteltern als Beispiel für musterhafte Integration porträtierte, zog er ein blütenweißes Hemd an und lächelte in die Kamera.
Bald nach seiner Ankunft wurde Ceesay klar, dass der Traum vom Profifußball utopisch war. Also begann er 2016 eine Ausbildung in der Bäckerei Kirschner.
In der Backstube hat Amadou Ceesay das Mehl jetzt abgewogen, später schütten seine Kollegen Wasser, Hefe und Salz dazu. Seine Schicht ist fast zu Ende, er trägt noch eine Plastikbox mit Weißbroten vorbei am bollernden Ofen in einen Lagerraum. Die Arbeit mit den Händen habe ihm auf Anhieb gefallen, sagt er, während er seine Schürze auszieht. Und er habe rasch verstanden: Wenn er in Deutschland Fuß fassen will, muss er arbeiten.
Geflüchtete aus Gambia haben kaum Chancen auf Asyl. Der Staat an der Westküste Afrikas zählt zwar zu den ärmsten Ländern der Welt, doch die politischen Verhältnisse gelten laut Auswärtigem Amt heute als stabil und demokratisch. Die Anerkennungsquoten für Migranten aus Gambia lagen in den Jahren 2015 bis 2021 zwischen 2,7 und 9,5 Prozent. Das heißt: Mindestens neun von zehn gambischen Migrantinnen und Migranten hätten eigentlich abgeschoben werden müssen. Doch von den 16.000, die Ende 2023 in Deutschland lebten, wurden im selben Jahr nur 394 zurück nach Afrika geschickt.
Weil ihre Verfahren so lange dauern, nutzten viele von ihnen eine Lücke im System. Sie begannen eine Ausbildung oder suchten sich eine Arbeitsstelle und wurden geduldet. Wenn sie dann Deutschkurse besuchten, das Sprachniveau A2 nachwiesen, einen Integrationstest bestanden und eine eigene Wohnung bezogen, bekamen sie nach acht, inzwischen sogar nach sechs Jahren eine Aufenthaltserlaubnis. Mit guter Bleibeperspektive.
Wie wäre es wohl heute? Würde Amadou Ceesay schon an der Grenze abgewiesen? Er hat das nicht mehr zu befürchten. Vor kurzem hat er seine Einbürgerungspapiere abgegeben. Bald wird er Deutscher sein.
Aber nicht bei allen lief die Integration so reibungslos.
Ibrahima Singhateh
#2, Rechtsverteidiger
Ein Freitagnachmittag im Sommer, die Sonne scheint auf die verwitterte Fassade eines ehemaligen Gästehauses am Bahnhof von Müllheim, Güterzüge und ein ICE rattern vorbei. Einst stand hier das Hotel Bauer, ein großes Bahnhofswirtshaus mit Gästezimmern. Heute ist nur noch ein drei Stockwerke hoher Zweckbau übrig. Auf den Fensterbänken stehen Kochtöpfe, Fußballschuhe und Aschenbecher, am Eingang hängen Dutzende Briefkästen. Seit 2015 wohnen hier keine Zugreisenden mehr, sondern Einwanderer.
Hinter dem Haus kniet Ibrahima Singhateh vor einem Blechtopf mit glühenden Kohlen. Daneben liegen Maiskolben auf dem Boden, die er gleich rösten will. Er trägt gelbe Badelatschen, seine dünnen Arme ragen aus dem Tank-Top, um den Hals baumeln Kopfhörer.
Im Halbkreis vor ihm sitzen zehn Männer auf Bänken, Stühlen und dem Fensterbrett. Einige tippen auf ihren Handys herum, andere unterhalten sich auf Mandinka, einer der Sprachen Gambias. Fast alle sind ehemalige Spieler des Team Africa. Da sitzt der Stürmer Moussa Njie, der später zur Nachtschicht in eine Fabrik für Marderabwehrgeräte fährt. Der Mittelfeldspieler Abubacarr Sawo, der am Morgen seine neue Wohnung gestrichen hat. Und Amadou Ceesay, der die Nacht in der Bäckerei verbracht hat.
Sie alle haben einmal im Hotel Bauer gewohnt, wie sie die Unterkunft nennen. Zehn Jahre sind vergangen, seit die meisten hier ankamen. Inzwischen haben sie eigene Wohnungen in den Dörfern des Markgräflerlandes gefunden, Arbeit und auch ein paar deutsche Freunde. Aber jedes Wochenende treffen sie sich hier, grillen, lachen und hören gambische Lieder. Oft sitzen sie bis in die frühen Morgenstunden zusammen. Dann gehen sie nach Hause.
Bis auf einen.
Ibrahima Singhateh überlässt den Grill für einen Moment sich selbst und zündet sich eine Zigarette an. Dann beginnt er zu erzählen. Auf Englisch, denn mit seinem Deutsch hapert es noch, selbst nach zehn Jahren.
Nachdem er zuvor ein Jahr und drei Monate in einem Lager auf Sizilien ausgeharrt hatte, war er im Winter 2014 in Müllheim angekommen. Er fand Arbeit als Bauhelfer und wurde von einer deutschen Familie aufgenommen. Doch irgendwann brauchte die Familie eine Wohnung für ihre erwachsenen Kinder, und die Baufirma ging pleite.
Seit drei Jahren wohnt der 38-Jährige wieder zur Miete in der Gemeinschaftsunterkunft. Hinter dem Fenster steht ein Doppelbett, ein Schrank, eine Tür führt ins Bad, die Küche teilt er sich mit neun anderen Bewohnern. Der Platz vor seinem Fenster ist zum Treffpunkt seiner Freunde geworden. Wenn er von seinem neuen Job im Lager eines Automobilzulieferers nach Hause kommt, ist immer einer von ihnen da, ob Singhateh möchte oder nicht.
Schon im Team Africa beugte er sich oft der Meinung der anderen. Bei den ersten Trainingseinheiten stand er im Tor. Dann kam ein anderer, der Torwart spielen wollte. Also spielte Singhateh fortan Rechtsaußen. Spaß habe es ihm trotzdem gemacht, sagt er. „Nur das Training hat mir nicht so gefallen“, sagt er und raschelt mit seiner Zigarettenpackung. „Vor allem das Ausdauertraining.“
Wenn seine früheren Teamkameraden über Singhateh sprechen, klingt es, als habe er zwei Gesichter. Auf dem Platz packte er dauernd Blutgrätschen aus und sprintete die Außenbahn hoch und runter. Privat hingegen sei er ein gutherziger, fast sanfter Mann. Wenn einer der Jungs umzieht, sei er der erste, der mit anpackt.
Etwas abseits seiner grillenden Freunde sagt Ibrahima Singhateh, er empfinde das Leben in Deutschland als stressig. Er spricht die Sprache immer noch nicht richtig, traue sich nicht, sie zu benutzen, sagt er. Er habe Angst, sich zu verplappern, sei schüchtern und introvertiert. Dazu kommen finanzielle Sorgen. 2016 starb sein Vater, jetzt muss er sich aus der Ferne um seine Schwester und deren Kinder kümmern. Von seinem Monatslohn von 1500 Euro versucht er so viel wie möglich zurückzulegen.
Auch, um sich einen anderen Traum zu erfüllen: Als Bildschirmhintergrund seines Smartphones lächelt ihm eine junge Frau entgegen. Vergangenes Jahr arrangierte seine Familie in Gambia die Hochzeit mit Mariama, der jungen Frau. Er hat sie noch nie gesehen, ab und zu telefonieren sie. Bald will er sie herholen, aus seinem kleinen Zimmer ausziehen und eine Familie gründen.
Ibrahima Singhateh sagt mit weichem Blick: „Alles braucht seine Zeit.“
Georg Imgraben
Trainer, Manager, Seelsorger
Der Mann, ohne den es das Team Africa wohl nie gegeben hätte, sitzt im verschwitzten Trikot auf einer Bierbank am Sportplatz und nimmt einen großen Schluck aus einem Spezi-Glas. Georg Imgraben, 43 Jahre alt, die leicht ergrauten Haare zum Mittelscheitel gekämmt, zieht eine Packung Menthol-Zigaretten unter dem Schienbeinschützer hervor und lehnt sich zurück. Gerade hat er mit der Inklusionsmannschaft gekickt, gleich soll er bei den Alten Herren auflaufen: die Sportfreunde Hügelheim feiern an diesem Tag Vereinsjubiläum.
In der Broschüre, die vor ihm auf dem Tisch liegt, sind auch einige alte Fotos von Team Africa abgedruckt. „Schön war das“, sagt er. „Aber abartig anstrengend.“
Georg Imgraben promovierte 2014 gerade in Alter Geschichte, als er beschloss, sich ehrenamtlich für Geflüchtete zu engagieren. In seiner Studienstadt Dresden hatte er die Pegida-Demonstranten gesehen und beobachtet, wie ein paar Glatzköpfe eine Gruppe Marokkaner beschimpften. „Ich dachte, das Vierte Reich steht vor der Tür“, sagt er.
Zu Hause in Britzingen las er in der Lokalzeitung die Schlagzeile: „Flüchtlinge kommen in Turnhalle unter“. Wenige Tage später stand er vor der Tür des Müllheimer Helferkreises. Er las Stellenanzeigen, suchte nach leerstehenden Wohnungen, begleitete Geflüchtete zum Arzt und konterte nachts auf Facebook die Wutbürger.
Es war die Zeit, als sich die „Flüchtlingswelle“ langsam aufbaute, die im gesamten Jahr 2015 fast eine halbe Million Menschen nach Deutschland brachte. Der 20.000-Einwohner-Stadt Müllheim wurden bis zum Sommer mehr als 100 Asylsuchende zugewiesen. Die meisten kamen aus Sub-Sahara-Afrika, vor allem aus Gambia. Um Platz für sie zu schaffen, kaufte die Stadt das ehemalige Hotel Bauer und baute es für 130 Menschen um. Wie an vielen Orten im Land herrschte auch in Müllheim Aufbruchstimmung.
Aber es gab ein Problem: Die Asylbewerber durften nicht arbeiten. Sie paukten in der Woche ein paar Stunden Deutsch, den Rest der Zeit warteten sie auf ihren Asylbescheid und die Arbeitserlaubnis. „100 untätige Männer Tag und Nacht in einem Haus, das konnte auf Dauer nicht gut gehen“, sagt die damalige Bürgermeisterin am Telefon.
Georg Imgraben sah das ähnlich. Die Idee zu Team Africa wurde im Helferkreis geboren. Als ein Gambier, der schon lange in Deutschland lebte, sah, wie viele Jungs dort herumhingen, fragte er Imgraben: Warum lassen wir sie nicht Fußball spielen?
Die Idee war so einfach wie genial: Die meisten Gambier sind fußballvernarrt. Als ihre Nationalmannschaft vor einigen Jahren gegen Algerien spielte, drängten sich 45.000 Zuschauer in das nur halb so große Stadion von Bakau an der Westküste Gambias. Es waren wahnsinnige Bilder: hinter dem Tor, unter der Tribüne, auf den Flutlichttürmen – überall standen die Fans und jubelten ihrer Mannschaft zu.
Georg Imgraben war von der Idee einer Fußballmannschaft sofort begeistert. Statt die Männer direkt in bestehenden Vereinen unterzubringen, wollte er sie erst langsam an den deutschen Vereinsfußball heranführen. Zwar hätten die meisten schon in Gambia gespielt, aber nur auf der Straße oder auf staubigen Plätzen ohne Linien und Abseits. Und wie ein Verein funktioniert, habe auch fast keiner gewusst.
Imgraben schnappte sich ein paar Jungs aus dem Hotel Bauer und fuhr mit ihnen zu einem verwilderten Sportplatz gegenüber dem Hof seiner Eltern. Als Kind hatte er dort selbst ab und zu gebolzt, aber inzwischen war das Gras wadenhoch gewachsen, der Boden löchrig, am Spielfeldrand wucherten Hecken. Sein Bruder, ein Landschaftsgärtner, brachte Arbeitsgeräte rüber; einer der Gambier setzte sich auf den Rasenmäher, einer nahm die Motorsense, einer die Heckenschere. Nach einigen Stunden war der Platz bespielbar.
Kurz darauf stolperten 40 Geflüchtete über den Platz. In Badeschlappen, Turnschuhen und Jeans brüllten sie vor Lachen, wenn einer stolperte und schrien vor Schmerz, wenn einer zu hart zutrat. Sie riefen sich Sätze zu in Sprachen, die wohl niemand in diesem Dorf je gehört hatte. Das war die Geburtsstunde des Team Africa.
Als Imgraben die Mannschaft zusammen mit zwei gambischen Trainern für den Spielbetrieb anmeldete, war die Euphorie groß. Die Lokalzeitung druckte Fotos von den Jungs beim Rasenmähen auf dem Sportplatz, im Supermarkt wurden sie an der Kasse angesprochen. Zum ersten Spiel kamen 150 Zuschauer und ein Fernsehteam von N24. „Die Jungs waren Rockstars“, sagt Georg Imgraben. Und er war ihr Manager.
Georg Imgraben organisierte Fahrer und Sponsoren, wusch Trikots und zog Kreidelinien auf den Platz. Er fuhr Spieler mit geschwollenen Knöcheln ins Krankenhaus, machte Werbung auf Facebook und überlegte sich die Aufstellung und die Taktik, wenn einer der beiden Trainer mal keine Zeit hatte – alles ehrenamtlich. Manchmal, wenn von den vielen gespendeten Fußballschuhen keine mehr übrig waren, kaufte er ihnen welche von seinem eigenen Geld. „Ich hätte mich am liebsten vervierfacht“, sagt er heute.
Die Arbeit lohnte sich. Die erste Spielzeit schloss das Team Africa auf Platz 4 ab, einige Talente wechselten zu höherklassigen Vereinen. Im zweiten Jahr lief es sogar noch besser. Die Stürmer schossen die meisten Tore der Liga und das Team Africa zur Vizemeisterschaft.
Da hatte sich Georg Imgraben schon zurückgezogen. Nach eineinhalb Jahren wollte er sich auf seine Doktorarbeit konzentrieren. „Wir hätten viel mehr Unterstützung gebraucht“, sagt er rückblickend. Sein Nachfolger als Manager hätte gerne auch mehr Engagement von den Spielern gesehen. Den Meistertitel verpasste das Team Africa, weil sich zum alles entscheidenden Spiel nicht genügend Fahrer fanden. Erst als das Spiel abgesagt und 0:3 gewertet wurde, seien die Spieler auf die Idee gekommen, sich um Helfer zu kümmern.
Heute überlässt Imgraben die Arbeit mit Geflüchteten anderen. „Ich bin in Rente“, sagt er. Seine Euphorie ist merklich abgekühlt, und auch die Stimmung im Land hat sich verändert. Bürgermeisterinnen und Landräte klagen über Überlastung, die Parteien überbieten sich mit Vorschlägen für immer härtere Asylrechtseinschränkungen. Umfragen diagnostizieren bei mehr als zwei Dritteln der Deutschen Migrationsskepsis. Vorbei ist die Zeit, als applaudierende Menschen an den Bahnhöfen standen und „Refugees-Welcome“-Banner ausrollten.
Dabei gerät leicht in Vergessenheit, was geleistet wurde. Der Helferkreis Müllheim hat recherchiert, was aus den ersten 63 Geflüchteten geworden ist, die im Winter 2014 in der Turnhalle ankamen. 48 von ihnen leben noch in der Region, darunter viele Spieler des Team Africa. 27 gehen einem Job als ungelernte Hilfsarbeiter nach, etwa im Lager auf dem Bau oder in der Produktion. 17 weitere haben eine Ausbildung gemacht und arbeiten heute als Maler, Altenpfleger, Tischler, Koch, Rollladenbauer oder Steinmetz. Nur vier sind arbeitslos, weil sie krank geworden sind oder keine Arbeitserlaubnis bekommen haben.
Georg Imgraben sagt: „Ich bin schon stolz auf das, was wir hier in Müllheim erreicht haben.“ Er würde es genauso wieder tun.
Famara Jammeh
#4, Innenverteidiger
In der Kleinstadt Old Yundum, unweit des Flughafens der gambischen Hauptstadt Banjul, öffnet Famara Jammeh das Tor zu einem Grundstück. Darin steht ein einstöckiges Haus. Im Wohnzimmer trocknet Jammehs Wäsche auf dem Sofa, im Schlafzimmer riecht es feucht und muffig, hinter dem Haus lagert in einem winzigen Kabuff ein Sack Reis, gegenüber ist in einem Schuppen ein Klo in den Boden eingelassen, an der Wand baumelt ein Duschkopf. Jammeh lacht. „Scheiße, oder?“
Neun Monate vorher, im Januar 2024, klopfen 4500 Kilometer entfernt zwei Polizisten an die Tür seines Zimmers in einer Unterkunft für Geflüchtete in Neuenburg bei Müllheim. Sie nehmen Famara Jammeh fest. Er hatte einen Zimmernachbarn ins Gesicht geschlagen, war dafür zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die er dann nicht bezahlte.
Im Gefängnis wurde ihm der Abschiebebescheid ausgehändigt. Darin heißt es, Jammeh sei seit Dezember 2021 ausreisepflichtig und mehrfach zur freiwilligen Ausreise aufgefordert worden. Sein Asylantrag sei bereits 2018 als unbegründet abgelehnt worden. Da er zudem straffällig geworden sei, müsse er nun schnellstmöglich abgeschoben werden.
In einem Charterflugzeug, mit etwa 40 anderen Gambiern, ein Polizist links, einer rechts, flog er im Februar über Nacht zurück nach Banjul. Er hatte ein Handy dabei und die Kleider, die er am Leib trug, erinnert er sich. Seine Möbel, sein Bargeld, eine Musikbox blieben in Deutschland.
Famara Jammeh war wieder in Gambia. Bis heute versteht er nicht, was mit ihm geschehen ist.
In seinem Wohnzimmer in Old Yundum dreht er den Ventilator auf. Am Rücken seines olivgrünen Shirts zeichnen sich Schweißflecken ab. „Diese Hitze macht mich wahnsinnig“, sagt er. Nach zehn Jahren in Deutschland ist er die tropischen Temperaturen nicht mehr gewöhnt. „Ich will so schnell wie möglich wieder weg aus Gambia“, sagt er. „Das Land ist so kaputt.“
Das kleinste Land auf dem afrikanischen Kontinent mit seinen 2,5 Millionen Einwohnern schiebt sich entlang des Gambia-Flusses wie ein Wurm von der Westküste ins Innere des Kontinents. Am Meer leben die Menschen vom Tourismus und ein wenig Industrie, im Hinterland mit seinen trockenen Böden mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei durchschnittlich 850 Dollar im Jahr und die Arbeitslosenquote offiziell zwischen sechs und zehn Prozent , vor Ort wird sie aber deutlich höher geschätzt.
Famara Jammeh wuchs in der Kleinstadt Illiassa auf, einige Kilometer flussaufwärts. Seine Eltern waren Bauern, schickten ihn zur Schule und mit 15 Richtung Hauptstadt, damit er näher an den Jobs war. Er begann als ungelernter Bauarbeiter, mischte Zement und verdiente dafür 150 Dalasi pro Tag, umgerechnet zwei Euro, von denen er einen Teil an seine Familie weitergab. Eine typische Geschichte, für viele junge Gambier.
2007 trat Famara Jammeh in die Armee ein und wurde zum Elitesoldaten ausgebildet. Er arbeitete für den damaligen Präsidenten Yahya Jammeh, der einst als Reformer angetreten war, sich aber zu einem rücksichtslosen Diktator entwickelte. Allzu viel mag Famara Jammeh von dieser Zeit nicht erzählen, nur so viel: Irgendwann habe er gemerkt, dass er dafür ausgebildet wurde, Oppositionelle auszuschalten. Da beschloss er, das Land zu verlassen.
Was dann folgte, erzählt er wie folgt: Im Sommer 2012 packte er Kleider und Geld in seinen Armeerucksack und stieg in den Bus nach Mali, mit dem Traum von Europa im Kopf. An der Grenze wurde er von zwei Soldaten abgefangen. Als er ihnen die Kordel der Elitesoldaten zeigte, bekamen sie Angst. Von da an nannten ihn seine Mitreisenden „Soldier“.
Sein Weg nach Europa führte von Mali nach Niger, immer weiter auf dem „backway“, der klassischen Fluchtroute gambischer Migranten. In der Stadt Niamey stieg er mit 30 anderen auf die Ladefläche eines Pickups und fuhr drei Tage lang durch die Sahara. Wurde an den Checkpoints von Soldaten ausgeraubt und verprügelt, sah, wie vor Erschöpfung gestorbene Mitreisende in den Sand gelegt und zurückgelassen wurden. In Libyen angekommen harrte er drei Monate lang aus, ehe er endlich, im Januar 2013, im Morgengrauen zusammen mit 100 anderen Menschen in ein Schlauchboot nach Lampedusa stieg. Überprüfen lassen sich diese Erzählungen kaum, doch sie decken sich mit denen anderer Migranten, von Journalisten und Fotografinnen.
Bald darauf zog Famara Jammeh weiter nach Deutschland. Zehn Jahre lang lebte er in Neuenburg, einer Stadt in der Nähe von Müllheim, arbeitete im Lager und ging für eine Leihfirma auf Montage. Mehrmals die Woche stählte er seinen Körper im Fitnessstudio, auf Fotos aus dieser Zeit droht sein Bizeps zu platzen, um den Hals hängte Jammeh sich dicke Goldketten.
Für das Team Africa bestritt Jammeh als Innenverteidiger ein gutes Dutzend Spiele. Doch Schmerzen im Knöchel, die von einer Verletzung beim Militär herrührten, zwangen ihn zu einer Pause.
Im Hof seines Hauses in Old Yundum feuert Jammeh einen kleinen Kohletopf an. Zwei Freunde kommen vorbei. Gemeinsam wollen sie Tee trinken und Suppe kochen. Sie kennen sich seit Kindheitstagen und haben dauernd telefoniert, als Jammeh in Deutschland lebte. Seit er wieder zurück ist, treffen sie sich häufig.
Nach seiner Rückkehr kam Famara Jammeh bei einem Onkel unter, doch er wollte lieber eine eigene Wohnung. Er verkaufte das Grundstück im Hinterland, das er mit seinem Lohn aus Deutschland eigentlich bebauen wollte und schaffe sich einen gelbgrün lackierten alten Benz an, um damit Taxi zu fahren. Doch irgendwie wollte nichts so richtig klappen. Nach zehn Jahren in Deutschland ist seine Heimat ihm so fremd wie nie zuvor.
Er sitzt in seinem Hof auf einem Plastikstuhl, lupft immer wieder den Deckel des Suppentopfes, in dem das Rindfleisch köchelt, und regt sich über Gambia auf. Die Politiker? Korrupt. Die Straßen? Eine Katastrophe. Die Jobs? Schlecht bezahlt.
Anfangs machte Famara Jammeh noch Liegestütze, ging auch mal joggen oder an den Strand. Einmal war er sogar Fußball spielen. Aber das hat er längst aufgegeben. Er starrt auf seinem Smartphone ständig auf Fotos, die seine Freunde in Deutschland hochladen. Ruft sie mehrfach am Tag an. Einige gehen nicht mehr ans Telefon.
„Es gibt hier nichts, ich will hier weg“, sagt er. Zurück nach Europa, zur Not auch wieder über die mörderische Route durch die Wüste und das Mittelmeer.
Edrisa Khan
#8, Zentrales Mittelfeld
Edrisa Khan schlendert an der Limmat entlang durch Zürich. Er trägt ein rotes Sportshirt und teure Turnschuhe, über der Schulter baumelt ein Markenrucksack. Er kommt gerade von der Arbeit bei Siemens, wo er in der Elektromontage Teile zusammenschraubt und fast doppelt so viel verdient wie ein Durchschnittsdeutscher.
Federnd läuft er über den Gehweg, aufrecht und lässig zugleich. So muss er auch Fußball gespielt haben, wenn man seinen ehemaligen Mitspielern glauben darf. Edrisa Khan schien der Ball am Fuß zu kleben, erinnern sie sich. Er drehte Pirouetten wie Franz Beckenbauer, wechselte ständig die Richtung und ließ seine Gegner ins Leere laufen. Kein Wunder, dass er eigentlich nach Europa kam, um beim großen FC Barcelona anzuheuern.
Das erzählt er auf seinem Spaziergang, vorbei an Bankentürmen und Cafés. Scouts hätten ihn beim Spielen in Gambia entdeckt und nach Spanien gelockt. Er sei nach Barcelona geflogen, zu seinem Onkel gezogen und habe zu spät gemerkt, dass er für die Ausbildung in der Jugendakademie mehrere tausend Euro im Jahr zahlen sollte. Der Traum vom Profifußball war schnell ausgeträumt.
Doch ohne Fußball fühlte er sich in Spanien nicht wohl. Es gab kaum Arbeit, aber komische Blicke von den Einheimischen. Also zog er weiter nach Deutschland, erst nach Düsseldorf, dann nach Müllheim.
Edrisa Khan sagt, er habe nie die Probleme gehabt wie andere Geflüchtete aus Gambia. Edrisa sei schon immer anders gewesen, sagt einer seiner früheren Mitspieler. Nach drei Spielen beim Team Africa beförderte ihn der Trainer der ersten Mannschaft, bald schaffte er es sogar in die Oberliga zum ehemaligen deutschen Meister Freiburger FC. Er hing mit seinen neuen Mitspielern ab und mit Arbeitskollegen.
Bis er auf Instagram eine Nachricht bekam. Eine Frau aus Zürich schrieb ihm, und er schrieb zurück.
Bald trafen sie sich, immer öfter fuhr sie an den Wochenenden zu ihm über die Grenze. Im Jahr 2021 heirateten sie, er zog zu ihr in die Schweiz, fand eine gut bezahlte Arbeit, die beiden bekamen zwei Töchter. Nach der Arbeit geht der heute 32-Jährige ins Fitnessstudio oder mit seinen Kindern auf den Spielplatz, am Wochenende auch mal in den Zirkus oder ins Schwimmbad.
Per Zufall lebt Edrisa Khan jetzt in einem der reichsten Länder der Welt. Und daraus macht er keinen Hehl: Auf Instagram und WhatsApp postet er Bilder in seinem Auto, er trägt darauf Markenpullover und silberne Uhren.
Doch sein Leben sei manchmal etwas eintönig, sagt er. Er spielt kein Fußball mehr und hat neben seiner Familie kaum ein soziales Umfeld. „Mein einziger Freund ist mein Chef“, sagt er.
Um sich abzulenken, fliegt er um die Welt. In den vergangenen zwei Jahren sei er mehr als zwanzig Mal in England gewesen, wo sein Onkel und ein Bruder leben. Er reist zum muslimischen Zuckerfest dorthin, zum Shoppen, manchmal besuchen sie ein Fußballspiel von Manchester United. Dreimal im Jahr reist er nach Gambia, wo seine Mutter wohnt, seine zwei Schwestern, ein Bruder und seine Oma. „Die Wärme, die Familie, das tut gut“, sagt er. „Dort fühle ich mich freier und habe mehr Ruhe.“
So wie auf dem Fußballplatz. Vor kurzem teilte er auf WhatsApp ein paar alte Fotos von sich beim Kicken und versah sie mit einem wehmütigen Kommentar. „I really miss playing football.“
Abubacarr Sawo
#6, Allrounder
Seine Haare sind frisch gestutzt, der Spitzbart getrimmt und die gelben Fußballschuhe leuchten in der Mittagssonne. Abubacarr Sawo joggt lässig grinsend aus der Kabine auf den Kunstrasenplatz – bereit für den großen Tag.
Ein paar hundert Fans seiner Mannschaft, der Sportfreunde Hügelheim, stehen am Spielfeldrand, alle paar Minuten trägt einer eine Kiste Bier aus dem Vereinsheim. Vor den Fans hängt ein Spruchband: „Setzt Hügelheim die Krone auf“. Heute ist der Tag der Tage. Wenn die Sportfreunde Hügelheim dieses Spiel gewinnen, steigen sie zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in die Kreisliga A auf.
Und Abubacarr Sawo, den sie Bob oder Buba rufen, will dafür sorgen, dass es klappt.
Er ist der einzige Spieler des Team Africa, der noch regelmäßig bei den Sportfreunden Hügelheim spielt, unter deren Dach sie 2015 im Ligabetrieb gemeldet wurden. Sawo wohnt nicht weit vom Sportplatz entfernt, er schätzt den Zusammenhalt in der Mannschaft, viele seiner Mitspieler kennen sich schon seit der Schulzeit. Sie hätten ihn auch gut aufgenommen, sagt er. Sein Trainer schätzt an Sawo, dass er ihn auf fast jeder Position einsetzen kann. Außer vielleicht im Tor, dafür ist er zu klein.
Konzentriert wärmt sich der 29-Jährige auf, dehnt die Beine, schießt ein paar Mal aufs Tor. Dann läuft er zurück in die Kabine, streift sich das feuerrote Trikot über, treibende Musik dröhnt durchs Fenster. Wenig später kommt er mit seiner Mannschaft und ernstem Blick auf den Platz gerannt.
Anpfiff.
Sawo flitzt die rechte Außenbahn auf und ab, mit seiner ruhigen, tiefen Stimme ruft er immer wieder die Namen seiner Mitspieler: Manni! Mo! Andi! Nach fünf Minuten führt seine Mannschaft mit 1:0.
Unter der Woche arbeitet Abubacarr Sawo als Straßenbauer, verlegt Rohre, asphaltiert Straßen und pflastert Gehwege. Im Jahr 2023 hat er seine Ausbildung abgeschlossen, nebenbei arbeitet er noch in einer Pizzeria. Mit dem Geld, das er über die Jahre gespart hat, ist er zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder nach Gambia geflogen. „Es war so schön warm“, sagt er. Dort hat er eine Frau geheiratet und hofft, dass sie bald zu ihm nach Deutschland kommen kann. Wenn er von seiner Zukunft spricht, lächelt er.
Das Meisterschaftsspiel ist schnell entschieden. Zur Halbzeit führt Sawos Mannschaft mit 5:0. Er hat kein Tor geschossen, aber viele Bälle erobert. Nach 60 Minuten wird er beim Stand von 6:1 ausgewechselt. Er setzt sich auf die Bank, zieht Schuhe und Schienbeinschoner aus. Dann läuft er mit dem Trikot über der nackten Schulter in Richtung Kabine und wartet am Spielfeldrand auf den Schlusspfiff.
Als der Schiedsrichter das Spiel abpfeift, rennt er los, spritzt mit seiner Wasserflasche in die Luft und tanzt mit seinen Mitspielern im Kreis. Er singt im Chor: „Wir sind alle Hügelheimer Jungs“.
Einschübe
10 Würde Amadou Ceesay heute an der Grenze abgewiesen? Er muss das nicht mehr befürchten. Bald wird er Deutscher sein
2 Ibrahima Singhateh empfindet das Leben in Deutschland als stressig. Er spricht die Sprache immer noch nicht richtig. Er habe Angst, sich zu verplappern, sagt er
Er wusch Trikots, zog Kreidelinien auf dem Platz, fuhr Spieler mit geschwollenen Knöcheln ins Krankenhaus, alles ehrenamtlich. »Ich hätte mich am liebsten vervierfacht«
Die Stimmung im Land hat sich verändert. Mehr als zwei Drittel der Deutschen sind skeptisch, was Migration angeht, Landräte klagen über Überlastung
»Diese Hitze macht mich wahnsinnig«, sagt Famara Jammeh. »Ich will so schnell wie möglich weg aus Gambia. Das Land ist so kaputt«
8 Edrisa Khan lebt in einem der reichsten Länder der Welt. Und macht daraus keinen Hehl: Er postet Bilder, auf denen er Markenpullover und silberne Uhren trägt
6 Er ist der einzige Spieler des »Team Africa«, der noch regelmäßig bei den Sportfreunden spielt
Bildunterschriften
ELF FREUNDE SOLLT IHR SEIN Plakate wie dieses kündigten 2016 im ganzen Markgräflerland die Partien des »Team Africa« an. Offiziell waren die Spieler als 3. Herrenmannschaft der Sportfreunde Hügelheim gemeldet
SAISONVORBEREITUNG Fußball braucht Platz. Die Spieler von »Team Africa« griffen sich Rasenmäher, Motorsense und Heckenschere. Und aus einer wilden Wiese wurde das Trainingsfeld
MANNSCHAFTSSPIELER Amadou Ceesay kam 2014 nach Deutschland, er lebt heute in einer WG mit dem Torwart des »Team Africa«. Seit 2016 arbeitet er in der Bäckerei Kirschner in Müllheim, dort schloss er eine Ausbildung ab. Heute sind Hefezöpfe und Brezeln sein täglich Brot
AN DER AUSSENLINIE Ibrahima Singhateh kam im Winter 2014 aus Sizilien in Müllheim an. Er arbeitete zunächst auf dem Bau, eine deutsche Familie nahm ihn auf. Dann ging die Baufirma pleite, und die Familie brauchte ihre Wohnung selbst. Nun lebt Ibrahima wieder in der Geflüchtetenunterkunft; er arbeitet nun als Lagerist
ENGAGIERTER INITIATOR Georg Imgraben stammt aus Britzingen, er studierte in Dresden Alte Geschichte und promovierte über Witz und Komik in der »Ilias«. Ab 2015 engagierte er sich für Geflüchtete in seiner Heimatregion, er war Gründungsmitglied eines Helferkreises
PLATZVERWEIS Famara Jammeh lebt nach der Abschiebung aus Deutschland im Februar 2024 wieder in Gambia. Zuvor hatte er zehn Jahre in Deutschland verbracht, eine Zeit, in der er mehrmals strafrechtlich verurteilt wurde
KARRIEREENDE Auf einem Markt in Old Yundum kauft Famara Jammeh, 38, Rindfleisch ein. Fußball spielen kann der ehemalige Elitesoldat schon lang nicht mehr: eine alte Verletzung aus dem Militärdienst macht ihm zu schaffen
ABSEITSFALLE Die Kleinstadt Old Yundum in Gambias Küstenregion: Hier leben die Menschen von Tourismus und einigen Industriebetrieben, im Hinterland mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft. Das Durchschnittseinkommen der rund 2,5 Millionen Gambier liegt bei 750 Euro im Jahr
AUFSTIEG Edrisa Khan (u.) heiratete 2021 eine Schweizerin und lebt mit ihr und zwei Töchtern in Zürich. Abubacarr Sawo (r.) zieht heute noch regelmäßig das Hügelheimer Teamtrikot an
KANTERSIEG 19. Mai 2024: Durch einen 9:2 Sieg gegen die Nachbarn aus Sulzburg steigen die Sportfreunde Hügelheim in die Kreisliga A auf – erstmals nach 30 Jahren. In der Jubeltraube: Abubacarr Sawo
AUSPUTZER Abubacarr Sawo wohnt nahe dem Sportplatz. Er schloss 2023 eine Ausbildung zum Straßenbauer ab