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Nicht ohne meinen Honig

von Marcel Laskus
Süddeutsche Zeitung vom 24.08.2024

Inhalt: Der Artikel beschreibt die absurde Situation der Bienenhaltung in städtischen Gebieten am Beispiel Berlin: Hobbyimkern und an Nachhaltigkeit interessierte Unternehmen halten Honigbienen als Beitrag zur Biodiversität, dabei konkurrieren diese Bienenvölker mit Wildbienen um ein knappes Nahrungsangebot. Ausschlaggebender für die Verdrängung von Wildbienen seien jedoch menschengemachte Umwelteinflüsse wie Flächenversiegelung, Pestizideinsatz und der Klimawandel.

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.


Nicht ohne meinen Honig

Der Mensch liebt die Biene. Und jeder will plötzlich Imker sein, selbst Bahn und Polizei haben eigene Völker. Das Problem ist allerdings, dass viele nur eine wollen, die Honigbiene. Für den Rest bedeutet das nichts Gutes.

Thibaut Freby stand auf dem Dach und fragte sich, wie viel Leben möglich ist, hier oben, acht Stockwerke über Berlin. Der Winter klammerte sich da noch in den Häuserschluchten fest, es war Mitte März, und die wenigen grünen Pünktchen in der Landschaft konnte man vor allem den Starbucks-Bechern zuordnen, mit denen Passanten durch die Stadt liefen. Dazu ging ein Wind, kalt und zugig, und wirklich schön war nur die Aussicht. Aber Freby, 51, ein durch und durch empathischer Mann mit grauem Schopf, nahm den Fernsehturm kaum wahr.
Wie ein Chefarzt auf Visite interessierte er sich nur für das Wohlergehen seiner Schutzbefohlenen. Und zumindest einem davon ging es nicht gut. Als er den Körper sah, von dem kein Summen, keine Bewegung mehr ausging, sagte er leise: „Oh, die ist tot.“ Still lag das kaum fingernagelgroße Etwas auf dem Rücken. Freby beachtete das Tier nicht weiter.
Seine Aufmerksamkeit galt jetzt dem ganzen Bienenstock, er legte das Ohr an den Kasten, und hörte das Summen. Danach hielt er die Hand daran und spürte, dass er warm war, rund 36 Grad, so muss es sein. Ein paar Bienen landeten im Flugloch, ein paar hoben wieder ab. Auf rund 7000 Tiere schätzte er die Population. Vielleicht mehr. Was für ein Glück.
Thibaut Freby brachte dorthin Leben, wo das Auge nur Unbelebtes sieht, Beton, Glas, Asphalt. Vor drei Jahren hat er hier, in Berlin-Mitte, zwei Bienenvölker aufgestellt, zwei kleine Kästen mit den Tieren, die der Mensch bewundert wie kaum ein anderes Lebewesen. Und ja, die Geschichte könnte an dieser Stelle enden, man könnte bei ihm noch ein Glas Honig kaufen für 6,50 Euro, alles Gute und auf Wiedersehen. Thibaut Freby, ein Versöhner von Mensch und Natur.
Doch wenn der Mensch etwas liebt, dann kann es schnell zu viel werden. Die Liebe, die Freby den Bienen entgegenbringt und die man auch noch im Sommer beobachten kann, macht andere Bienenfreunde misstrauisch. Zu tun hat das auch damit, dass Thibaut Freby nicht in eigener Sache, sondern im Dienst eines Immobilienunternehmens unterwegs ist. Aber nicht nur deshalb sprechen Kritiker von einem enormen Eingriff, von Bienen, die hier eigentlich nicht hingehören. Von Greenwashing. Und davon, dass aus der Imkerei, diesem edlen Hobby und Beruf, eine Art Industrie geworden sei.
Aber Moment mal, war die Biene wegen des Menschen nicht kürzlich noch in allerhöchster Gefahr? Ja, aber von vorn.
Bevor es um Schuld geht, muss es um das schlechte Gewissen gehen, denn auch das schlechte Gewissen des Menschen brachte die Biene in die Lage, in der sie sich heute befindet. Und diesem schlechten Gewissen ging eine enorme Verehrung voraus.
Über Jahrtausende wurde die Biene bewundert, denn sie gab dem Menschen, was er begehrte, Wachs und Honig, Licht und Süße. Die Maya hatten eine eigene Gottheit für die Bienen und den Honig. Über die Epochen hinweg waren Leute, die etwas auf sich hielten, nebenher Imker. Aristoteles. Goethe. Leonardo DiCaprio angeblich auch. Und aus den Bienen, von denen es mehr als 20 000 Arten auf der Welt gibt, wurde irgendwann in der Wahrnehmung eine einzige Art. Apis mellifera, genannt Honigbiene.
Längst ist sie zum Werbeträger geworden, zum Botschafter einer dem großen Ganzen dienenden Sache. Der Versicherungskonzern Allianz hält Honigbienen, die Deutsche Bahn verkauft „Gleisgold“, den Honig der Bahn, den „Polizeibienen“ der Münchner Polizei gehört sogar eine eigene Website.
An jenem Tag im März sah Thibaut Freby, dass sein Volk von der Art Apis mellifera den Futtersirup fast aufgefressen hatte. Nur durch den von ihm ausgelegten Sirup kommen die Bienen gut durch den Winter – es ist einer dieser Eingriffe in die Natur. Einer, der den Tieren das Überleben sichert.
Freby sagte dann, die einzelne Biene sei ihm nicht wichtig. Sie leben und sie sterben, sagte er, man könne ja nicht Empathie aufbringen für Tausende Tiere wie für eine Hauskatze oder einen Hund. Aber wenn er dann zur Begutachtung die Bienen aus ihren Rähmchen lockt, ganz langsam, „sonst haben sie Angst“, dann ist da Fürsorge für jedes einzelne der 7000 Tiere. Ohne Handschuhe kommt er den Tieren näher, um sie nicht zu zerquetschen. Freby will wissen, ob die Bienen schon jetzt, im Frühjahr, Pollen an den Beinen haben. Der Pollen aus Pflanzenblüten beinhaltet Eiweiß. Nur mit genug Pollen bekommen die Bienen Nachwuchs. „Bisher sehe ich noch nicht so viele Pollen“, sagt er. Aber das heißt nichts: Der Radius der Honigbiene ist enorm, sie fliegen bis zu fünf, manchmal zehn Kilometer weit, finden Wasser an der Spree, Nahrung im Tiergarten. Die Honigbiene ist ein fleißiges Tier. Und ein Sympathieträger. Ideal geeignet also als Werbeträger für Firmen.
Vor zwei Jahren kam der deutsche Ableger des großen US-Unternehmens Tishman Speyer auf Freby zu, das Unternehmen hat hier einen großen Gebäudekomplex, in dem Einzelhändler, Anwälte und Medienunternehmen sitzen. Freby kommt seitdem im Winter alle paar Wochen, im Sommer alle paar Tage, und schaut nach den Bienen. Tishman Speyer bekommt den Honig, den es an seine Mieter verschenken kann. Und Freby bekommt von Tishman Speyer dafür 170 Euro im Monat.
Seit 2001 lebt Freby in Deutschland, studierte Germanistik und BWL, aber das Französische schimmert noch immer durch, etwa wenn er die Zerbrechlichkeit seiner Tiere beschreibt, so ein Bienenvolk sei „fraschiel“. Er arbeitet als Controller in der Chemieindustrie. „Es ist für mich ein Ausgleich.“ Sein Ausgleich zwischen Büro und Outdoor. Oder: Sein Ausgleich zwischen schmutzig und sauber. Die Bienen sind nur sein Zuverdienst, sein Hobby. Er sagt: „Wenn ich nur mit denen Bienen arbeiten würde, hätte ich Angst, dass ich ihnen zu viel Druck mache.“
Freby bewundert die Biene, so wie vor ihm andere die Biene bewundert haben. Vom 1982 verstorbenen Zoologen Karl von Frisch ist feinster Kitsch überliefert: „Das Leben der Bienen ist wie ein Zauberbrunnen. Je mehr man daraus schöpft, umso reicher fließt er.“ Ganz im Sinn von Frisch schöpft auch Freby aus dem Brunnen. Aber bei vielen gerieten die Bienen bald in Vergessenheit.
Eine wachsende Weltbevölkerung brauchte im 19. und 20. Jahrhundert immer größere landwirtschaftliche Flächen, auf denen die Bienen nicht immer Futter fanden. Böden wurden versiegelt, Pestizide versprüht.
Ein paar Jahre nach der Jahrtausendwende schwebte die Biene dann wieder in das Blickfeld des Menschen. Vom Bienensterben war jetzt die Rede. Bis heute sind die Ursachen nicht wirklich klar. Als wahrscheinlich gilt inzwischen eine Kombination aus Monokulturen, Insektiziden und dem Befall der Varroamilbe. Bestimmte Chemikalien wurden seitdem verboten, auch in Deutschland, aber die Milbe ist noch immer ein Risiko. Sie befällt die Bienenlarven, den Nachwuchs, und um sie zu beseitigen, verwenden Imker wie Freby bis heute Ameisensäure. Die Bienenstöcke müssen sauber sein, sagt Freby, nur so breiten sich Krankheiten nicht aus.
Als der Begriff des Bienensterbens kursierte, wies der Schweizer Dokumentarfilm „More than Honey“ 2012 in alarmierendem Ton darauf hin, wie schlecht es um die Bienen steht. Mehr noch: Was, wenn die Bienen eines Tages nicht mehr da sind? Der Film zitierte Albert Einstein mit den Worten: „Wenn die Bienen aussterben, sterben vier Jahre später auch die Menschen aus.“ Dass Einstein das wohl nie gesagt oder geschrieben hat – egal. Die Worte waren in der Welt, und der tierliebe Mensch, der mit Biene Maja groß wurde und es erstrebenswert findet, fleißig wie eine Biene zu sein, sorgte sich spätestens jetzt.
In dem, was dann passierte, liegen etwas Tragisches und etwas Tröstliches, denn es zeigt: Der Mensch kann durchaus etwas gegen die Umstände tun, die er selbst verursacht hat. Wenn ihn das schlechte Gewissen ausreichend antreibt.
Wie ein abwesender Vater um sein Scheidungskind kümmert sich der Mensch seitdem um seine Biene, oder genauer: um die Honigbiene. Er überschüttet sie mit seiner Liebe. Weltweit nahm die Zahl der Honigbienenvölker um ein Viertel zu, sie stieg von 84 auf 101 Millionen Völker in nur einem Jahrzehnt, am stärksten in China und Indien. In Berlin verdreifachte sich die Zahl der beim Imkerverband gemeldeten Imker zwischen 2007 und 2023 auf heute 1409 Imker. Das Volksbegehren „Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern – Rettet die Biene“ 2019 war das erfolgreichste in der Geschichte des Freistaats. Nicht die seltene Dickhörnige Kamelhalsfliege oder der Unbehaarte Sammetläufer wurden zum inoffiziellen Maskottchen, sondern, natürlich: die Honigbiene.
Freby fing 2011 damit an, die Biene zu umsorgen, in jener Zeit, als die Menschen so bekümmert um sie waren. Einem 85-Jährigen, den er kannte, wurde es zu viel mit seinen Bienen, er wollte sie loswerden. Und Freby sagte: jetzt oder nie. „Ich war sehr froh, denn er hat mir alles gegeben.“ Die Bienen, das Werkzeug, das Wissen. Freby lernte, dass die Königin tausend Eier am Tag legen kann, dass Bienen chemische Leitpfosten in der Luft platzieren, dass sie mit den Fühlern riechen und schnelle Bewegungen scharf sehen können. Er wird die Welt damit nicht retten, aber er will einen Beitrag leisten.
Daheim, in Falkensee, am Rand von Berlin, ist seine Garage jetzt voll mit Rähmchen und Gläsern, in die der Honig reinkommt. Es duftet blumig und harzig. Als wären die Gerüche Dutzender Wald- und Wiesenspaziergänge auf ein paar Quadratmetern komprimiert. Dreizehn Völker hat er insgesamt, und vier Kunden. Alles für eine bessere Welt.
Rettet die Bienen. Viele verstanden allerdings: Rettet die Honigbiene. Was oft vergessen wird: Es gibt Hunderte Arten, und viele würde der Mensch kaum als Biene erkennen. Die Weiden-Sandbiene vergräbt ihre Eier im Boden, die Große Wollbiene sieht wie eine Wespe aus, mehr als sechshundert Bienenarten gibt es allein in Deutschland.
Dass ausgerechnet die Honigbiene ausstirbt, wie oft behauptet, ist beinahe ausgeschlossen, solange es Imker gibt. Genauso wenig stirbt ja das Schwein aus oder der Truthahn, solange es Menschen gibt, die diese Tiere halten und pflegen, um sie irgendwann zu schlachten. Aber würden sich Unternehmen auch einen Schweinestall oder eine Rinderfarm auf das Gelände stellen, um ein bisschen umweltbewusster zu wirken?
Mit Bienen geht das. Inzwischen gibt es etliche Imker-Firmen, die für andere die Bienenvölker betreuen. Freby gehört zu den kleineren. Unternehmen tun das auch, um ESG-Kriterien zu erfüllen, die für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) stehen. Viele Investoren fordern inzwischen, dass solche Kriterien eingehalten werden.
Auch Tishman Speyer, für die Freby die Bienen pflegt, möchte solche Standards erfüllen, um Investoren gerecht zu werden. Es geht dem Unternehmen also auch um Geld. Im Gebäudekomplex in Berlin-Mitte bauen sie für bessere ESG-Werte Fahrradständer in den Keller, und E-Auto-Ladestationen. Die Bienen sind ein weiterer Baustein, wenn auch ein eher kleiner. Von Tishman Speyer heißt es dazu: „Wir machen das mit den Bienen aber nicht nur für ein schönes Foto. Wir machen das aus Überzeugung.“ Und Thibaut Freby verweist auf den Effekt seiner Workshops, die er den Mietern anbietet. „Diese Leute kommen nach Hause und denken: Will ich noch diesen Industriehonig? Will ich noch Milch von einer Kuh aus dem Stall oder von der Wiese? Wenn sich die Leute ändern, weil sie hier die Bienen gesehen haben, ist das schön.“ Er hat den Eindruck, dass er den Leuten etwas mitgibt.
Tue Gutes und rede darüber. Das kann man Greenwashing nennen oder verantwortungsvoll. Was aber, wenn das vermeintlich Gute vielleicht nicht gut ist?
Hans Richard Schwenninger ans Telefon zu bekommen ist nicht leicht, denn der 71-Jährige verbringt einen Großteil seiner Zeit damit, Wildbienen zu beobachten, zu identifizieren, zu zählen. Ihm ist die Verehrung der Honigbiene suspekt. Als Biologe und geschäftsführender Gesellschafter des „Kompetenzzentrums Wildbienen“ ist das Summen der artenreichen Biene das Hintergrundrauschen seines Lebens.
Bei seinen Vorträgen zeige er immer eine Folie, darauf zu sehen ein Ausschnitt aus der „Tagesschau“ vom 30. Oktober 2018. Ein nächster Beitrag wird da von Jens Riewa angekündigt, bei dem es um die „dramatisch“ gesunkene Zahl der Wildtiere geht. Und bebildert ist der Beitrag: mit einer Honigbiene. „Ich bin verwundert, dass über diesen Bereich so unfachlich berichtet wird“, sagt Schwenninger. „Es wird immer impliziert, die Honigbiene sei ein Wildtier. Das stimmt nicht.“
Auch er findet gut, dass die Leute mehr bienenfreundliche Pflanzen wie den Natternkopf kaufen und nicht nur für Bienen oft unbrauchbare Rosen. Dass nicht jeder Park picknickfein rasiert wird – ausgerechnet dann, wenn viele Kräuter blühen. Aber der Mensch macht sich um die falsche Biene Sorgen, findet Schwenninger.
Er wohnt in Stuttgart. Vor ein paar Jahren habe er das Dach seiner Garage begrünt mit Wildkräutern aus der Region. Die Insekten kamen, auch die Wildbienen. Sogar die Gebänderte Pelzbiene, eine Art, die angeblich zuletzt vor hundert Jahren in der Region nachgewiesen wurde, entdeckte Schwenninger auf dem Dach. Ein Jahr später seien ganz in der Nähe Honigbienen aufgestellt worden. „Die sind da über die Blüten rüber, nach drei Tagen waren die Blüten abgesammelt.“ Die Pelzbiene, sagt Schwenninger, war wieder weg. Viele Wildbienen sind wählerisch in ihrer Nahrung, ihr Flugradius ist oft klein. All das sind Nachteile im Kampf um Nahrung. Etwa die Hälfte der in Deutschland lebenden Wildbienen ist in ihrem Bestand gefährdet, Dutzende sind bereits ausgestorben.
Anders die Honigbiene, die Thibaut Freby an einem Tag im Sommer wieder besucht. Er hat jetzt seinen Imkerhut auf, denn die Bienen sind aktiv geworden, die Pollen haben gereicht, ihre Population hat sich versechsfacht auf rund 40 000 Tiere. „Es geht ihnen richtig gut“, sagt Freby. Gerade hat er wieder den Kasten geöffnet, er sucht die Königin: „Da ist sie!“ Er ist geradezu erleichtert, dass sie noch da ist. Sie soll nur nicht abhauen und ein neues Volk gründen in einem Schornstein oder unter einer Regenrinne. „Ich will niemanden stören.“
Im Moment blühen noch die Kastanien, bald auch die vielen Linden der Stadt. Hundert Gläser machte Freby mit dem Frühlingshonig voll, jetzt kommen mit dem Sommerhonig noch mal hundert Gläser dazu. Hergestellt aus Nektar, den auch Wildbienen hätten verzehren können. Freby sagt: „Ich mache mir große Sorgen um diese Konkurrenz.“
2019 stellte der spanische Biologe Carlos Herrera fest, dass viele Wildbienenarten im Mittelmeerraum in den vergangenen fünfzig Jahren von der Honigbiene teilweise ersetzt worden sind. In London verkündeten 2020 die Royal Botanic Gardens, dass Honigbienen die Wildbiene verdrängen. Und als vor zwei Jahren auf einen Imker das Museum of Modern Art zukam, man wolle jetzt Honigbienen auf dem Gelände haben, da lehnte der Imker laut New York Times ab. Er wollte dem bisschen Natur in der Stadt nicht noch mehr Honigbienen zumuten.
Ob in der Natur oder in der Großstadt, für Hans Richard Schwenninger gibt es nur eine Lösung, den Durchmarsch der Honigbiene einzuhegen: In einem vor wenigen Wochen mit anderen Biologen veröffentlichten „Positionspapier“ fordert er zur zurückhaltenden Imkerei auf. Schwenninger will, dass für jedes aufgestellte Honigbienenvolk ein halber Hektar Blühfläche zu pflanzen ist, „um ausreichend Nahrung bereitzustellen, wie dies bei anderen Nutztieren selbstverständlich ist“. Ein halber Hektar, das entspricht der Fläche von etwa 500 Pkws. „Dann würde sich das Problem ruck, zuck lösen“, sagt er.
Torsten Ellmann, Präsident des Deutschen Imkerbunds, sagt am Telefon: „Wenn ich sehe, welchen Gegenwind die Honigbiene bekommt, dann werde ich sehr unruhig.“ Die Forderung, für jedes Bienenvolk einen halben Hektar Wiese zu pflanzen, hält er für nicht realistisch. „Würde man die Honigbiene aus der Natur entnehmen, würde viel von der Bestäubungsleistung verloren gehen. Außerdem liefern Bienen auch Biomasse. Sie sind ein wichtiger Baustein in der Nahrungskette.“ Für ihn gebe es in Deutschland keine Konkurrenz zwischen 604 Wildbienenarten auf der einen Seite und der Honigbiene auf der anderen Seite. „Für mich gibt es einfach 605 Bienenarten.“
Denn ruck, zuck, das bedeutet auch: dass die Imker verschwinden müssten. Imker wie Freby. Er kennt die Diskussionen um das Greenwashing, das „Beewashing“ und die Konkurrenz zwischen Wild- und Honigbiene. Freby verweist auf die großen Industrieunternehmen. „Diese Firmen sollten zunächst Flächen schaffen“, die Last auf kleine Hobbyimker wie ihn abzuwälzen, empfinde er nicht als fair.
Manchmal kann er das alles vergessen, die Diskussionen, die Verantwortung, die er hat, die Probleme, die er in den Augen anderer bringt, wenn er sich daheim, in Falkensee, vor seine zwei Bienenstöcke setzt. Es summt und brummt, Freby nimmt sich einen Moment Zeit und setzt sich mit dem Stuhl daneben. „Ich könnte das stundenlang machen“, sagt er. „Das ist wie Hypnose, wie Trance, ich vergesse alles, die Zeit hört auf, sich zu drehen. Ich würde nicht merken, wenn sich die Welt nicht mehr dreht. Die ganzen Probleme sind weg.“
Aber bald, wenn das Laub von den Bäumen fällt und es Herbst wird, wenn die Honigbienen keinen Honig mehr produzieren und die Wildbienen sich im Boden verkriechen, ja dann sind die Probleme immer noch da. Und sie sind furchtbar komplex. Der Naturschutzbund NABU hat vor ein paar Monaten 28 Studien dazu ausgewertet, inwiefern die Honigbiene die Wildbienen gefährden soll. Nur sieben davon erkannten keinen Einfluss, zwanzig sahen einen negativen Effekt. Eine klare Sache? Nun ja, auch etwas anderes stand in dem Papier: Noch fataler für die Wildbienen sind andere Gründe, die Flächenversiegelung, die Pestizide, der Klimawandel.
Es ist nicht lang her, da hat sich über Thibaut Frebys Bienen auf den Dächern von Berlin-Mitte eine Nachbarin beschwert. Fast jeden Tag bemerke sie die Tiere, wie sie an ihrem Fenster vorbeifliegen. Sie sah nichts Schönes darin, nur eine stachlige Gefahr. Freby, der mit den Menschen so gut kann wie mit den Tieren, hat den Bienenstock genommen und ist mit ihm umgezogen. Jetzt steht er auf einer anderen Terrasse, weit genug entfernt von der Frau.
Bienen können andere Bienen verdrängen, das stimmt schon. Aber der größte Verdränger ist und bleibt der Mensch.


Einschübe

Dass die Biene zum Werbeträger geworden ist, tut ihr nicht wirklich gut

Dann kam das große Sterben und die Frage: Was bedeutet das für uns?

Der Mensch mache sich leider um die falsche Biene Sorgen, sagt der Biologe

Manchmal setzt er sich neben seine Bienenstöcke und hört einfach nur zu


Bildunterschriften

Die Biene liefert dem Menschen Wachs und Honig, Licht und Süße. Aber es gibt eben nicht nur die Honigbiene, sondern allein in Deutschland mehr als 600 Arten, weltweit sind es mehr als 20 000 – und die werden von ihr verdrängt.

Ein Netz vor dem Gesicht trägt er, aber keine Handschuhe, damit er die Bienen nicht zerquetscht: Der Imker Thibaut Freby auf einem Dach in Berlin.