Von Gier und Angst
von Margret Hucko und Michael Freitag
manager magazin vom 23.05.2025
Inhalt: Das schwedische Batterieunternehmen Northvolt sollte Unabhängigkeit von asiatischen Batteriezellherstellern generieren, aufgrund von Managementfehlern, zu großem Fokus auf Expansion und dem fehlenden Vertrauen zentraler Partner wie Volkswagen und BMW musste das Unternehmen trotz politischer Unterstützung im März 2025 Insolvenz anmelden. Die Produktion blieb weit hinter den Erwartungen zurück, es bestanden Qualitätsmängel. Die Hoffnung auf eine Rettung durch Investoren besteht nur für einzelne Standorte, die Zukunft des Unternehmens ist ungewiss.
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Von Gier und Angst
Northvolt sollte die Unabhängigkeit der europäischen Autoindustrie retten. Hybris, Managementfehler und das Zögern von Volkswagen ließen den Zellhersteller abstürzen. Rekonstruktion eines tragischen Scheiterns.
Eine von Northvolts letzten Hoffnungen schwebte am 28. März in Skellefteå ein. Planespotter registrierten die Ankunft einer Privatmaschine, Typ Challenger 3500, auf der Landebahn, rund 200 Kilometer vom Polarkreis entfernt. Das Flugzeug, so sagen es öffentlich verfügbare Daten, kam aus Stuttgart. Die Bombardier gehört zum Technologiekonzern Bosch.
Am darauffolgenden Montag berichtete das Northvolt -Management im Mitarbeitermeeting über einen „sehr interessierten Kandidaten“, der freitags der Batteriefabrik einen streng geheimen Besuch abgestattet haben soll. Bei Bosch weiß man mehr: Der „G1“ war in Schweden, Stefan Hartung (59), oberster Geschäftsführer des größten Automobilzulieferers der Welt.
Bosch hat sich schon mehrfach mit dem Thema Akkus beschäftigt, das weckte in Skellefteå noch einmal Zuversicht. Vielleicht geht es mit einem der wichtigsten und ambitioniertesten europäischen Industrieprojekte der letzten Jahrzehnte doch noch weiter. Vielleicht bleibt doch noch mehr übrig als ein paar Maschinen, brachliegende Baustellen und eine spielfilmreife Story.
Die ehemaligen Tesla -Manager Peter Carlsson (54) und Paolo Cerruti (55) wollten die europäische Autoindustrie vor einer asiatischen Übermacht retten. Sie forderten ab 2016 mit wenig mehr als einer Idee Riesen heraus wie LG Chem und Samsung SDI, CATL und BYD , die geballte koreanische und chinesische Batteriezellenpower. Sie versprachen, den gesamten Produktionskreislauf zu beherrschen – von der Zellchemie bis zum Recycling. Sie wollten das Auto zum Ökomobil machen und dabei steinreich werden. Und sie fanden mächtige Helfer. BMW-Chef Oliver Zipse (61) machte mit, Volkswagens damaliger Boss Herbert Diess (66), auch Porsche-Chef Oliver Blume (56) orderte Zellen aus Skellefteå. Andere mussten sich gedulden, das erste Werk war schnell ausgebucht.
Selbst internationale Investoren standen Schlange. Goldman Sachs sicherte sich, genauso wie Volkswagen , schnell rund 20 Prozent der Anteile; BlackRock war dabei, Baillie Gifford, der dänische Pensionsfonds ATP. Ein schwedisches Start-up holte sich mehrere Milliarden Euro von den Großen der Finanzwelt – und das anfangs mit der Überzeugungskraft von Powerpoint-Präsentationen. Das war einmalig.
Das Northvolt-Team gewann auch die Politik für sich. „Das war seit Airbus das größte europäische Projekt dieser Art“, sagt einer, der Northvolt eng begleitet hat. Zum Baubeginn eines geplanten Werks im schleswig-holsteinischen Heide boßelte er mit der ganz großen Koalition aus Bundeskanzler Olaf Scholz (66; SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (55; Grüne) und Ministerpräsident Daniel Günther (51; CDU). Alle wollten Carlsson. Sich von ihm ihre Wettbewerbsfähigkeit retten lassen, mit ihm viel Geld verdienen, mit ihm Wahlen gewinnen.
Nun haben alle verloren. Seit März steckt Northvolt in der Insolvenz, die letzte Bewertung von rund 12 Milliarden Euro ist ebenso verpufft wie die gut 6 Milliarden Euro Kreditgeld. Im ersten Werk der Schweden, „Northvolt Ett“, versucht der Insolvenzverwalter Mikael Kubu den Betrieb so gut wie möglich aufrechtzuerhalten, um die Gläubiger zu bedienen. Das Ende? Offen. Aber die Hoffnung schwindet von Woche zu Woche.
Wie konnte dieses Jahrhundertprojekt scheitern, das alle wollten und scheinbar nach Kräften unterstützten? Wer die ersten Risse, die großen Brüche und den schließlichen Kollaps im Fall Northvolt rekonstruiert, landet in einer Chronik des Versagens. Am Ende ließ ein Cocktail aus Gier und Arroganz, Missmanagement und mangelnder Risikobereitschaft der Autohersteller eine Firma scheitern, die fast alle für „too big to fail“ hielten. Ein Lehrstück darüber, wie man es nicht machen sollte.
I. Verlust der Schutzmacht
Der erste herbe Schlag für das Start-up wirkte zunächst wie eine Befreiung. Im März 2021 luden Volkswagen-Chef Herbert Diess und Technikvorstand Thomas Schmall (61) die Analysten zum „Power Day“. Sechs Batteriezellenwerke wollte der deutsche Autohersteller bauen, gebündelt in der neuen Einheit PowerCo. Im Zuge dessen sorgte man für klare Verhältnisse – und stieg aus einem Joint Venture mit Northvolt aus.
Für Northvolt-Chef Carlsson schien das zunächst kein Problem. Volkswagen behielt seine Anteile am Unternehmen, steuerte in einer weiteren Finanzierungsrunde sogar 620 Millionen Dollar bei und vergab zügig Aufträge in Höhe von 14 Milliarden US-Dollar. Und doch war der Rückzug fatal, wie sich später zeigte: Northvolt verlor damit seine wichtigste Schutzmacht.
Begonnen hatte die Beziehung ein paar Jahre zuvor. Im Volkswagen-Konzern hatten schon die schwedischen Trucker von Scania und auch die Audi -Entwickler Kontakte zu Northvolt aufgenommen; also reiste Ende 2018 der frisch angetretene Einkaufsvorstand Stefan Sommer (62) nach Stockholm und besuchte in der Altstadt in der Gamla Brogatan ein kleines Start-up; die Ikea-Arbeitstische hatte das Team selbst zusammengebaut. Und tatsächlich: Northvolt hinterließ mit seiner Zellchemie Eindruck.
Konzernchef Diess steuerte damals voll auf Elektro um. VW hätte angesichts der hochfliegenden Pläne schon in wenigen Jahren mehr Akkus gebraucht, als damals insgesamt weltweit produziert wurden. Wo also die Zellen hernehmen? Diess wollte im bis dahin wichtigsten Motorenwerk in Salzgitter selbst einsteigen, die Arbeit an einer Pilotlinie zur Zellproduktion lief an. Nur würde es im großen Stil allein schwierig.
Als man mit dem Gedanken spielte, mit dem koreanischen Unternehmen SK Innovation zu kooperieren, drohte der bisherige Lieferant LG Energy Solution, die Lieferung zu stoppen. „Das waren plötzlich keine klassischen Zulieferer mehr, die man in den Schwitzkasten nehmen konnte“, erzählt ein Beteiligter. VW war abhängig.
Warum also nicht auf den Newcomer aus Schweden setzen, mit einem Joint Venture für Salzgitter? Für Diess wäre es ein Showcase für Transformation, für Carlsson ein Ritterschlag.
Volkswagen gab schließlich eine knappe Milliarde Euro an Northvolt, dafür bekam der Konzern 20 Prozent am Unternehmen und einen Sitz im Aufsichtsrat. Ein Teil des Kapitals floss ins Joint Venture. Alles sah nach einer stabilen Partnerschaft aus.
Doch in Wolfsburg kamen schnell Zweifel auf. Die Bedenken im Betriebsrat wurden noch geglättet; es gab einen Tarifvertrag, der auch den Beschäftigten des Joint Ventures in Salzgitter VW-Gehalt sicherte. Aber als der für das Werk zuständige Thomas Schmall nach Stockholm flog, fand er zwar Start-up-Atmosphäre vor, aber keine Industriekompetenz. Diese Leute sollen gleichzeitig zwei gigantische Werke hochziehen? Skellefteå bis 2023 reif für die Serienproduktion machen und Salzgitter bis 2025? Lieber nicht. „Wir haben Angst bekommen, Northvolt könnte beides versenken“, sagt einer der Beteiligten.
Also stieg Volkswagen aus. Die ideale Symbiose aus Wissen über die Massenproduktion einerseits und Zellchemie andererseits war zerstört. „Mit Volkswagen war das komplette Industrialisierungs-Know-how weg“, analysiert ein anderer Manager von damals, „genauso fehlte die Einkaufsmacht eines Großkonzerns für die Maschinen.“
Volkswagen hatte jetzt die eigene PowerCo. Eine wachsende Gruppe an der Konzernspitze sah Peter Carlsson von nun an als Chef eines Lieferanten – und Northvolt nur noch als Passage im Beteiligungsbericht.
II. Management auf Speed
Die mangelnde Projekt- und Umsetzungskompetenz, die VW so abschreckte, setzte sich fort. Northvolt-CEO Carlsson und sein Führungsteam, ausgestattet mit Milliarden Investorengeld, verzettelten sich. Wenn Carlsson in der Zentrale seine Leute zum „All Hands“ rief, referierte er gern, wo das Unternehmen stand und was alles angeschoben wurde. Eine Kernbotschaft immer wieder: Das Team müsse das „Northvolt-Tempo“ aufrechterhalten. Speed, Speed, Speed, auf allen Ebenen, in allen Projekten.
2020, da lief das Joint Venture mit Volkswagen noch, arbeiteten 700 Leute für Northvolt. Ein Jahr später waren es schon knapp 3000, 2024 dann über 6500. Ähnlich rasant wuchsen Carlssons Ankündigungen. 2019 noch wollte er bis zum Jahr 2040 Zellfabriken mit einer Kapazität von 120 Gigawattstunden errichten, alle in Europa. Fünf Jahre später waren daraus 230 Gigawattstunden geworden – und das schon 2030.
Im Rückblick war Carlsson das alles selbst zu schnell. „Ich hätte bei der Expansion früher die Handbremse ziehen müssen, um sicherzustellen, dass die Hauptmaschine sich im Zeitplan bewegt“, sagte er im schwedischen Fernsehen. Aber da war Northvolt schon pleite.
Fernseher liefen auch während der „All Hands“-Veranstaltungen – meist ein Livestream aus Skellefteå, der die Bauarbeiten an „Northvolt Ett“ zeigte. Sie blieb jedoch nicht die einzige Fabrik. Carlsson nummerierte seine Werke ähnlich wie Elon Musk (53) bei Tesla. 2022 kündigte er „Northvolt Drei“ in Heide an, „Northvolt Six“ sollte in Kanada entstehen. Dazu kamen über die Jahre ein Joint Venture mit Volvo Cars in Göteborg, die Übernahme eines Forschungszentrums im Silicon Valley , die Beteiligung an einer Lithium-Raffinerie in Portugal – während man in Skellefteå weiterhin nur Zellmuster produzierte. „Das Management hatte komplett den Fokus verloren“, sagt ein Beteiligter.
Northvolt wollte die ganze Lieferkette beherrschen: die Rohstoffmine, das Recycling, die Produktion des Kathodenmaterials, mit dem sich sogar der Chemieriese BASF schwertut. Ähnlich groß geht auch CATL die Sache an, das chinesische Branchenvorbild. Nur haben die weltweit mehr als 100.000 Beschäftigte und die chinesische Regierung hinter sich.
Carlsson verlor immer wieder wichtige Köpfe. „Northvolts Aufgabe war es, Automotive-Zellen zu bauen, in hoher Qualität. Dazu brauchten sie Topleute“, sagt ein Investor. Als er das erste Mal mit Northvolt zu tun hatte, seien diese Experten auch da gewesen. Nur: „Die sind dann im Laufe der Jahre gegangen.“
Da war der Produktionschef Landon Mossburg , den Carlsson und Cerruti von Tesla mitgebracht hatten. Als es richtig losging, war er weg. Oder der Weise aus Japan, Yasuo Anno , genannt „Anno-san“, in der Szene galt er als ein Mr. Lithium-Ionen. Carlsson hatte ihn von Sony losgeeist, als Star seines Laborteams in Stockholm. Aber, registrierten die Beobachter, irgendwann tauchte er nicht mehr auf. Selbst der für Technologie und Betrieb zuständige Cerruti wurde für viele unsichtbar, er kümmerte sich um den Aufbau des Kanadageschäfts.
Die Besten konnte Carlsson kaum ersetzen. Skellefteå ist eine Kleinstadt im Norden Schwedens. Mehrere Wasserkraftwerke produzieren dort grünen Strom, auch Windkraft gibt es in Mengen. Ein idealer Standort, um mit regenerativen Energien saubere Batteriezellen zu produzieren. Nur nicht, um Toppersonal anzulocken. Im Dezember bleibt es bis auf vier Stunden dunkel, im Januar pendeln die Temperaturen zwischen extrem kalt und eiskalt. Notgedrungen gab Carlsson gerade jungen Leuten früh viel Verantwortung. „Manchmal habe ich mich wie ein Herbergsvater gefühlt“, sagt ein Topmanager. Und ein Dienstleister aus Deutschland klagt: „Wir hatten jedes Mal neue Ansprechpartner – so fingen wir immer wieder von vorn an.“
III. Die Traumfabrik
Den ersten echten Schock lieferte eine Due Diligence der Produktion im Januar 2024. „Ihr seid auf der Todesspirale“, soll einer der Prüfer das Team gewarnt haben. „Ihr könnt froh sein, dass ihr so geduldige Kunden habt. Wenn ihr euch nicht zusammenreißt, seid ihr in sechs Monaten weg.“ Carlssons Northvolt-Speed? Sahen die Prüfer nicht.
Beim anschließenden Meeting mit den Investoren sei die Stimmung angespannt gewesen, erinnert sich ein Teilnehmer. Einige kritisierten, man dürfe die Motivation nicht killen. Andere, auch von Northvolt, reagierten fast erleichtert. Endlich sprach es einer aus.
Noch etwas kam hoch an diesem Tag. „Wie gut, dass genug Geld da ist“, habe der Prüfer beruhigend bemerkt. Einer aus Carlssons engstem Kreis habe einer kleinen Runde diese Gewissheit anschließend genommen: Keineswegs sei das so.
Die zahlreichen Investitionen fraßen die Milliarden: In die Kathodenfabrik in Borlänge flossen Insidern zufolge rund 3 Milliarden Euro, die Recyclinganlage in Revolt kostete gut eine Milliarde, die Laboranlage in Västerås mehr als eine halbe Milliarde. Heute steht das meiste davon leer.
Rund 10.000 Zellen pro Woche baute Northvolt Anfang 2024. Das reicht gerade, um 50 Elektroautos mit Batterien zu bestücken. Manche Maschinen in den Werkshallen verwirrten noch mit chinesischen Schriftzeichen auf den Displays. Mal lief eine Linie in der Produktion kurz, mal stand sie wieder für zwei Stunden. „Die dachten immer noch, das geht gut“, sagt ein Beteiligter von damals.
Was sollte schon passieren? Die großen Autohersteller, davon waren Carlsson und auch seine Geldgeber überzeugt, waren auf Northvolt angewiesen. Scania und Porsche hatten keine Ausfalloption. BMW hatte einen gewaltigen Auftrag platziert. Die Politik stand ebenfalls an Northvolts Seite. Als Carlsson einmal eine deutsche Politikerin durch Skellefteå geführt hatte, sagte die zu ihm: „Diese Fabrik ist so wichtig für Deutschland; falls Sie jemals in gefährliche Schwierigkeiten kommen: Sie können uns anrufen, Herr Carlsson.“
Too big to fail. Dieser Eindruck hatte sich verfestigt, Kritik prallte ab.
Management und Investoren schauten lieber schon auf den Börsengang, Carlsson hatte den IPO in Interviews mehrfach in Aussicht gestellt. Goldman war bei einer Bewertung zwischen einer und zwei Milliarden Euro eingestiegen, bei einem erhofften Börsengang mit 30 Milliarden wäre man groß im Geld gewesen. „Da haben einige schon überlegt, ob sie von ihrem Gewinn eine Gulfstream oder eine Challenger kaufen“, ärgert sich einer der Beteiligten.
Große Pläne und große Ankündigungen erleichterten neue Finanzierungsrunden, die neuen Projekte erleichterten den Zugang zu neuen Fördergeldern. Von den gut 5 Milliarden US-Dollar, die Carlsson in Kanada verbauen wollte, wären je eine Milliarde vom Staat und von der Provinz Québec gekommen. Für das Werk in Heide sagten der Bund und das Land Schleswig-Holstein 700 Millionen Euro Fördermittel zu, von der Förderbank KfW kam eine Wandelanleihe über 600 Millionen Euro, die jeweils zur Hälfte von Bund und Land abgesichert war.
Irgendwann driftete Carlsson ins Surreale. Um die Region Heide für künftige Topleute aufzuwerten, schlug er Ministerpräsident Daniel Günther für die Nordseeküste eine „Art Biarritz“ vor. Doch da war Biarritz schon genauso weit entfernt von der Realität wie die Privatflieger der Banker. Northvolt kämpfte in Wahrheit ums Überleben.
IV. Böses Erwachen mit BMW
Zum zentralen Bruch in der Northvolt-Story kam es im Juni 2024. BMW zog seinen Großauftrag für Skellefteå zurück , wie [Medium] damals enthüllte. Den für Heide hatten die BMW-Leute – so ihr Verständnis – ohnehin nie final unterschrieben. Es war eine Notbremse, die spätestens jetzt klarmachte: Northvolt wankt.
Eigentlich sollte das Start-up Zellen für die BMW-Limousinen i4, i5 und i7 liefern, genauso für das SUV iX. Northvolt hatte den Auftrag im Juli 2020 stolz vermeldet, 2 Milliarden Euro schrieben Carlssons Leute in die Bücher. Doch die Ingenieurinnen und Ingenieure in München erlebten bereits ab Ende 2021 eine Terminverschiebung nach der anderen: Zunächst schob Carlsson das Ziel um ein Jahr nach hinten, auf Februar 2025; dann schaffte Northvolt es nicht, die für 2022 zugesagten B3-Muster zu liefern, die eigentlich die Serienreife belegen sollten. Qualität, Menge, Lieferzeiten: nichts passte. Zu viele Zellen schwollen im Einsatz so sehr an, dass die Schweißnähte platzten. BMW-Chef Oliver Zipse setzte eine Taskforce ein, immer wieder waren die Troubleshooter auch in Schweden.
Die Autohersteller kennen solche Probleme von Anläufen anderer Zellhersteller. „Dass die Qualität zunächst nicht in Ordnung war, hat Entwicklung und Einkauf lange nicht besonders beunruhigt“, sagt ein Audi-Mann. So hatten sie es auch bei LG Energy Solution erlebt; dort rückten ebenfalls Spezialteams aus, und irgendwann lief die Produktion zuverlässig.
Auf dem Northvolt-Campus in Skellefteå bezogen zeitweise Teams von BMW, Volkswagen und Scania gleichzeitig feste Räume. Nur, erzählt einer, der dabei war: „Die Zusammenarbeit kam nicht richtig in Schwung. Northvolt stand auf dem Punkt: ,Die sollen uns vertrauen, wir bekommen das schon hin‘.“
Das Kathodenmaterial, das man selbst herstellen wollte, kam aus Asien. In der Zellfertigung fehlte es an den Prozessen, wie sie in der Autoindustrie üblich sind. „Das wurde bei Northvolt als überholt angesehen“, erzählt einer, der damals helfen sollte. Immer fehlte die Zeit, immer wieder wollte man Probleme später fixen.
Im November 2023 fielen die Northvolt-Batterien bei einem weiteren BMW-Test durch. Sechs von sechs Zielwerten (KPIs) wurden gerissen. Es reichte weder bei Haltbarkeit, Sicherheit noch Reichweite. Im Februar 2024 verschob Northvolt den Serienanlauf der BMW-Zellen erneut, jetzt auf März 2026. Dann zog Zipse die Reißleine.
Was die BMW-Leute nicht sagten: Finanziell war der Northvolt-Ausfall für sie sogar lukrativ. Der Verkauf der Elektroautos lief wie in der gesamten Branche nicht so stark wie erwartet; die erforderliche Menge Zellen konnten auch CATL und Samsung SDI liefern – und das sogar billiger. Bei den Großen weniger zu ordern, hätte für BMW Sonderzahlungen bedeutet. Der Ausstieg bei Northvolt dagegen kostete nichts. Juristisch reichten die Verspätungen offenbar als Ausstiegsgrund.
BMW gilt in der Szene als Unternehmen, das sehr langfristig plant; auch deshalb hatte sich der Konzern früh bei Northvolt beteiligt. Als es aber Langmut gebraucht hätte, zog BMW-Chef Zipse zurück.
V. Todesstoß aus Wolfsburg
Für Peter Carlsson bedeutete das noch nicht das Ende. Schon länger verhandelte er mit den Investoren über die nächste Finanzierungsrunde. Erst im Januar 2024 hatte er sich 4,5 Milliarden Euro gesichert, ein neuer Kredit. Jetzt brauchte er erneut mehr als 2 Milliarden; unter anderem, weil Wandelanleihen fällig wurden. Volkswagen, so der Plan, würde davon gut eine Milliarde Euro beisteuern, die anderen Eigner den Rest. Die Finanzinvestoren signalisierten Geduld: Wenn die Deutschen dabei wären, machten auch sie mit.
Niemand konnte sich vorstellen, dass Volkswagen aussteigt. Aber auch in Wolfsburg hatte es Personalwechsel gegeben. Bei Northvolt hätten sie die neuen Entscheider rund um Oliver Blume nicht mehr gut genug verstanden, sagt einer aus dem schwedischen Team.
Erste Warnzeichen gab es, als die VW-Verhandler Anwälte mitbrachten, die genauestens protokollierten. „Die passten auf, dass jedes möglicherweise juristisch verwertbare Commitment vermieden wurde“, erinnert sich ein Teilnehmer. Für Volkswagen ging es nicht nur um das investierte Kapital – das war ohnehin im Geschäftsbericht schon einmal leicht abgeschrieben. Vielmehr benötigte der Autobauer die Zellen. Niemand hatte so große Aufträge bei Northvolt platziert; ohne die Northvolt-Zellen drohte die Verschiebung neuer Elektromodelle. Allein bei Porsche ging es um nicht verkaufte Autos im Wert von 4 Milliarden Euro. Vorsichtig geschätzt.
Noch Anfang Juni signalisierte Konzernchef Blume in einem Meeting in Wolfsburg, was er von seinen Leuten erwartete: „Northvolt ist systemrelevant“, zitieren ihn Begleiter. „Die müssen es schaffen. Sonst wird Europa bei der Batteriezelle komplett abhängig von China.“ Alle müssten sich jetzt auf Skellefteå konzentrieren: „Wenn das erste Werk steht und läuft, ist das eine Blaupause. Wir müssen beweisen, dass wir das können.“
Blume setzt sich meistens durch im Konzern. Doch die Investoren warteten vergeblich auf das finale Go aus Wolfsburg. Im Sommer wuchs das Misstrauen. Volkswagen brachte auch Berater ins Spiel, die Northvolt noch einmal überprüfen sollten; Strategy& und McKinsey waren dabei.
Northvolt geriet in einen typischen Volkswagen-Machtkampf. Die einen, vor allem im Finanzbereich, wollten am liebsten ganz raus aus der Zellfertigung. Zu viel Risiko, die Chinesen und Koreaner könnten es doch eh besser. Die Batteriezellenfraktion aus der PowerCo suchte eine Lösung, die Northvolt zu einem erträglichen Preis lebendig hielt. Jeder gescheiterte Zellhersteller würde schließlich die eigene Position im Konzern gefährden. Die Tochter Porsche brachte ins Spiel, die Volkswagen-Milliarde bei der Finanzierungsrunde und vielleicht sogar den kompletten Anteil der Wolfsburger zu übernehmen. Im Gegenzug würde Northvolt die eigene, hochproblematische Batteriesparte Cellforce übernehmen.
Entscheidend war am Ende wohl etwas anderes: Alle hatten Angst. Im anstehenden Arbeitskampf bei VW wollte sich niemand von den Arbeitnehmern vorwerfen lassen, zusätzliche Milliarden in ein malades Unternehmen zu investieren, wenn gleichzeitig Zehntausende Stellen gestrichen werden sollten.
In der Endphase habe es noch einmal einen Zwei-Tages-Volllasttest bei Northvolt gegeben, berichtet einer, der das Projekt in Wolfsburg lange gestützt hat. Die Anlagen sollten zwei Tage lang herausholen, was geht. Verfügbarkeit, Takt, Ausschussquote: „Das Ergebnis war noch weit weg von der erforderlichen Qualität.“
Klar war: Die Schweden würden ihre Anlagen in den Griff bekommen. Aber niemand wusste, wie lange es noch dauern würde.
Am Ende trauten sich die zentralen Personen nicht. Im August 2024 habe Volkswagen die Finanzierungsrunde platzen lassen, sagen Beteiligte. Am 21. November 2024 ging Northvolt ins Chapter 11, eine Pleite nach US-Recht. Gründer und CEO Peter Carlsson trat zurück. Northvolt sei „wie ein Baby für mich“ gewesen, erklärte er. Auf dem Firmenkonto lagen da noch 30 Millionen Dollar Cash.
Im März 2025 folgte die Insolvenz des Unternehmens in Schweden. Die Gläubiger haben bislang Forderungen in Höhe von mehr als 5 Milliarden Euro geltend gemacht.
VI. Albtraum Resterampe
Der Mann, der die Reste von Europas größter Zellhoffnung verwerten soll, heißt Mikael Kubu. Der Jurist ist seit März als Insolvenzverwalter von Northvolt eingesetzt. „Zwei oder drei Interessenten“ gebe es, sagte Kubu jüngst im schwedischen Radio. Sie würden große Teile von Northvolt übernehmen wollen, ein Angebot liege aber noch nicht auf dem Tisch. Die Produktion in Skellefteå läuft mindestens bis Ende Mai. Bis dahin verbrennt Northvolt etwa 30 Millionen Dollar pro Woche, macht 1,56 Milliarden Dollar pro Jahr.
Die ernsten Interessenten kämen aus Deutschland, sagt ein Insider, „alle waren da“, bestätigt ein Northvolt-Berater aus Deutschland: Mercedes-Chef Ola Källenius (55) schickte seine Leute durch die Hallen, ebenso Oliver Zipse; man suche eine „gesamtheitliche Lösung“, heißt es. Vermutlich wäre Northvolt für sehr wenig Geld zu bekommen.
Im Volkswagen-Vorstand allerdings wollten sie von ihren Beratern wissen, was sich zur Fortführung lohnen würde. „Aber da war nichts“, sagt einer, der die Reise eng begleitete. Ob aus der Bosch-Hoffnung etwas wird? Ungewiss.
Scheitert Northvolt, verschlechtern sich auch die Aussichten für den deutschen Ableger bei Heide. Die Hoffnung ist auch hier dünn, aber die Northvolt Drei Project GmbH ist noch nicht insolvent. Es gibt noch einen Eigenkapitalstock. „Wir denken, dass Heide ein attraktiver Case ist“, heißt es im Berliner Wirtschaftsministerium. „Das reflektiert sich in unseren aktuellen Gesprächen.“ In der Industrie verweist man auf den Wert eines solchen Grundstücks mit genehmigtem Industrieprojekt: „Doch was nützt es, wenn dann am Ende CATL dort baut.“
Das Tragische: Die Linie für die Scania-Zellen läuft in Skellefteå inzwischen zwar, doch am 22. Mai teilte Insolvenzverwalter Kubu mit, dies sei langfristig nicht tragfähig. Daher werde die Produktion im Werk Northvolt Ett schrittweise heruntergefahren. Ziel sei es, sie bis zum 30. Juni einzustellen. Es werde weiterhin nach einem Käufer gesucht, so Kubu.
Er spüre die Angst bei potenziellen Interessenten, „dass sie sich blamieren und dass sie als Schuldige hingestellt werden, wenn es nicht klappt“, sagt ein Northvolt-Mann. Am Ende, das wäre typisch für die Northvolt-Geschichte, würden die Topleute aus der Autoindustrie zurückziehen. Und das Jahrhundertprojekt damit endgültig begraben.
Einschübe
"Manchmal habe ich mich wie ein Herbergsvater gefühlt."
Ein Northvolt-Topmanager über die junge Führungsriege
Bildunterschriften
Visionär: Der Manager Peter Carlsson gründete zusammen mit seinem Tesla-Kollegen Paolo Cerruti 2016 Northvolt
Ohne Bremse: Northvolt-Gründer Peter Carlsson
Der Riss: Vorstand Thomas Schmall und Ex-Volkswagen-Chef Herbert Diess feiern 2022 den Start ihrer Zellfabrik in Salzgitter mit Kanzler Olaf Scholz und Landesvater Stephan Weil (v. l.) - Northvolt ist nicht mehr dabei
Lange positiv: Volkswagen-Chef Oliver Blume
Geduld verloren:BMW-Chef Oliver Zipse
Ausgebaggert: Bei Heide in Schleswig-Holstein sollte das dritte Northvolt-Werk entstehen