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Trump kannte dieses Land nicht, jetzt könnte er es ruinieren

von Paul Munzinger
Süddeutsche Zeitung vom 15.04.2025

Inhalt: Der Artikel beschreibt die Auswirkungen von Donald Trumps Handelspolitik und Kürzungen der Entwicklungshilfe auf das kleine afrikanische Land Lesotho. Insbesondere die Textilindustrie und HIV-Hilfe werden hart getroffen, was zu Arbeitsplatzverlusten und Existenzängsten in der Bevölkerung führt.

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.


Trump kannte dieses Land nicht, jetzt könnte er es ruinieren

Niemand habe je von Lesotho gehört, höhnte der US-Präsident. Nur, um dem Land wenig später die Hilfsgelder zu streichen und die höchsten Zölle anzudrohen. Begegnungen mit Menschen, die gerade ihren amerikanischen Albtraum erleben.

Sollte Donald Trump auf seine alten Tage doch noch mal persönlich nach Lesotho reisen, statt das Land aus dem fernen Washington wie ein blonder Zeus mit Blitzen zu bewerfen, könnte er sich dort vielleicht sogar ein bisschen heimisch fühlen. Nicht wie in New York oder Florida, Wolkenkratzer oder Strände hat Lesotho nicht zu bieten. Aber wie im Wilden Westen. Der weite Himmel, die karge Landschaft, die flachen Sandsteinberge: Würde man den US-Präsidenten in Lesotho aussetzen und ihm sagen, er befinde sich in Utah oder Arizona, er würde es wohl glauben.

In der Hauptstadt Maseru könnte Trump ein paar Bälle auf dem herrlich gelegenen Golfplatz einlochen, der praktischerweise direkt neben der US-Botschaft liegt. Er könnte bei Kentucky Fried Chicken vorbeischauen, falls er auch im Ausland den Drang verspürt, sich für die Kameras in einer amerikanischen Fast-Food-Kette nützlich zu machen. Und er könnte, tief im Süden Afrikas, eine der Fabriken besuchen, in denen Tag für Tag in tausendfacher Ausführung der amerikanische Traum zusammengenäht wird: Blue Jeans der Marke Levi’s, made in Lesotho.

Wobei, Letzteres könnte Trump womöglich bald nicht mehr tun. Und dafür ist er selbst verantwortlich.

Das kleine Lesotho, ein vollständig von Südafrika umgebenes Königreich mit 2,3 Millionen Einwohnern, erlebt seit Trumps Amtsantritt seinen ganz persönlichen amerikanischen Albtraum. Er begann Ende Januar, als der US-Präsident die Axt an die amerikanische Entwicklungshilfe anlegte. Kaum ein Land auf der Welt ist davon mehr betroffen als Lesotho, wo jeder fünfte Erwachsene HIV-positiv ist. Er steigerte sich zu einem ersten Höhepunkt, als Trump Lesotho Anfang März im US-Kongress als Land verhöhnte, von dem niemand je gehört habe. Und er entwickelte sich zu einem wahren Fiebertraum, als Trump Anfang April der Welt den Handelskrieg erklärte. An der Spitze der Zoll-Weltrangliste stand mit fünfzig Prozent: Lesotho.

Trump hat den Großteil seiner gigantischen Zölle schon wieder einkassiert, auf Wiedervorlage in neunzig Tagen. Aus Amerika gegen alle ist fürs Erste Amerika gegen China geworden. Doch wer in diesen Tagen durch Lesotho reist, findet niemanden, der deshalb durchatmet. Lesotho ist ein Land unter Schock. Ein Land, das sich fragt: Warum wir? Und ganz egal, was in den kommenden drei Monaten passiert: Lesotho wird nicht unbeschadet aus diesem Albtraum erwachen.

Am Rand von Maseru, kurz bevor die Stadt sich in den felsigen Hügeln verliert, liegt die Textilfabrik Nien Hsing International. Fünf Backsteinhallen mit hellblauen Dächern reihen sich aneinander. Das Herzstück ist die Halle in der Mitte. Auf 30 000 Quadratmetern arbeiten hier 3500 Menschen – vor allem Frauen –, die unter dem donnernden Klackern von 1200 Nähmaschinen Jeans herstellen. Die Schneiderinnen bringen den Stoff in Form, die Näherinnen nähen ihn zusammen, die Wäscherinnen geben ihm Textur und Farbe. „Gemeinsam Streben“, steht auf Englisch und Chinesisch über dem Eingang. „Der Sieg ist gewiss.“

Ricky Chang bittet in den Besprechungsraum im ersten Stock. An den Wänden hängen Jeans, auf dem Tisch stehen Cracker und Getränke. Chang, 56, ist der Manager der Fabrik und kommt, genau wie sein Arbeitgeber Nien Hsing, aus Taiwan. Er ist ein höflicher und großgewachsener Mann mit Brille und Seitenscheitel und trägt, natürlich, Jeans. Modell: Levi Strauss Signature, aus eigener Produktion.

Der Textil-Sektor macht in Lesotho etwa zwanzig Prozent der Wirtschaftsleistung aus, beschäftigt mehr als 40 000 Menschen und ist fest in taiwanischer Hand. Ein Großteil der rund vierzig hier ansässigen Kleiderhersteller gehört zu taiwanischen Konzernen. Nien Hsing produziert seit 1992 in Maseru, viele andere kamen nach der Jahrtausendwende – aus Gründen, über die noch zu sprechen sein wird. 30 000 Jeans, Röcke und Jacken können sie bei Nien Hsing am Tag fertigen, zu hundert Prozent aus afrikanischer Baumwolle, sagt Chang. Etwa achtzig Prozent bekommen am Ende das berühmte Levi’s-Logo verpasst und treten die Reise in die USA an. Die Heimreise, sozusagen.

Chang nimmt den Namen seines größten Abnehmers kaum in den Mund. Er spricht nur von der „berühmten Marke“. Auch ihre anderen Kunden hätten natürlich Standards, sagt er, doch so eine berühmte Marke: Das sei schon etwas anderes. Und jedes Modell, das sie in Maseru herstellen, ob Levi’s 505, 507 oder 511, bedeutet, dass sie die Qualitätsprüfung bestanden haben. Bald könnte noch ein besonderes Modell dazukommen: die 501, die Mutter aller Jeanshosen. „Es wäre eine Anerkennung“, sagt Chang.

Vielleicht werden sie aber auch bald gar keine Jeans mehr für den US-Markt herstellen. Und zwar, so sagt es Ricky Chang, wegen Mister Donald Trump.

Als Chang am 3. April wie jeden Morgen die Nachrichten auf seinem Handy durchscrollte, hätte es ihn umgehauen, wäre er nicht noch im Bett gelegen. Fünfzig Prozent Zoll für Lesotho. „Das könnten wir nicht verkraften“, sagt er.

Seine Rechnung ist einfach: Wenn die berühmte Marke künftig mehr für Jeans aus Lesotho drauflegen müsste als für Jeans aus anderen Ländern, dann werde sie weniger Jeans in Lesotho kaufen. Oder gar keine mehr. Ein Worst-Case-Szenario haben sie schon ausgearbeitet: Einbruch der Bestellungen, Kurzarbeit, Entlassungen. Zahlen will Chang nicht nennen. Aber wenn achtzig Prozent der Jeans in die USA gehen, sagt er, dann könne man sich das ja selbst ausrechnen.

Mathato Lenka, 43 Jahre alt, arbeitet als Näherin in der Fabrik, man trifft sie außerhalb des Firmengeländes auf dem Weg in die Mittagspause. „Natürlich habe ich Angst um meinen Job“, sagt sie leise. Das Gehalt sei nicht berauschend, aber fair. Über die Arbeitsbedingungen könne sie nicht klagen. Fünf Tage die Woche näht sie Levi’s-Jeans, von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr abends, mittags gibt es eine Stunde Pause. Zwei Kinder hat sie zu Hause und einen Mann ohne Arbeit. Verliert sie ihren Job, steht die Familie ohne Einkommen da. „Ich verstehe wirklich nicht, warum Trump das macht“, sagt sie.

Auch Ricky Chang droht ein Worst-Case-Scenario. Seit zwölf Jahren ist er in Lesotho, mit 44 fing er bei Nien Hsing an. Davor diente er mehr als zwanzig Jahre lang in der taiwanischen Armee, am Ende als Offizier. Doch irgendwann, sagt er, hatte er das Gefühl, er habe lang genug eine Uniform getragen. Er ging nach Afrika. Mit seiner Familie lebt er im südafrikanischen Ladybrand, direkt an der Grenze zu Lesotho. Seine drei Kinder sind in Südafrika aufgewachsen, er würde gern bleiben. Doch auch das liegt nun nicht mehr in seiner Hand.

Als Chang von Trumps Zoll-Rückzieher las, war er erleichtert. Für den Moment. Neunzig Tage haben sie jetzt Zeit, sich nach neuen Kunden außerhalb der USA umzusehen, vor allem in Südafrika. Nicht nur Amerikaner tragen gern Jeans, sagt er. Schon während der Corona-Pandemie war die Nachfrage in den USA so massiv eingebrochen, dass sie zwei ihrer drei Fabriken in Lesotho schließen mussten. Das Südafrika-Geschäft haben sie seitdem deutlich ausgebaut, von unter fünf auf knapp zwanzig Prozent. Doch selbst wenn sie noch ein paar Prozent drauflegen können: Den Ausfall des US-Markts könnten sie höchstens abfedern, sagt Chang. Aber niemals ausgleichen.

Seine Hoffnungen ruhen deshalb auf Lesothos Regierung. Darauf, dass es ihr gelingt, Trump einen Deal abzutrotzen und die Fünfzig-Prozent-Zölle abzuwenden. Doch das dürfte aus mehreren Gründen schwierig werden.

Das Handelsministerium von Lesotho befindet sich in einem unscheinbaren Gebäude in der Innenstadt von Maseru. Nur eine kleine blau-weiß-grüne Flagge auf dem Balkon deutet darauf hin, dass hier ein Teil der Regierung residiert. Minister Mokhethi Shelile empfängt in seinem Büro im dritten Stock. Er sitzt mit ernstem Blick und roter Krawatte an einem massiven dunkelroten Schreibtisch, vor einer ebenso massiven dunkelroten Schrankwand. Durch das offene Fenster weht der Lärm der Straße rein.

Shelile hat in den vergangenen Wochen einen Medienmarathon absolviert. Er hatte Journalisten aus Südafrika und Frankreich im Haus, aus Katar und Deutschland. Nur eine Anfrage aus den USA hat ihn bislang nicht erreicht. Merkwürdig finde er das schon, sagt er. Aber auch beruhigend.

Denn wenn er eines nicht will, dann in die amerikanische Parteienpolitik hineingezogen zu werden. Wenn CNN bei ihm anrufen würde, dann müsste er sich gut überlegen, ob Trump ihm ein Interview nicht übel nehmen würde. Bei Fox dagegen würde er sofort zusagen. Vielleicht hilft’s ja.

Als Trump höhnte, niemand habe je von Lesotho gehört, war er nicht böse, sagt Shelile. Andere Länder würden noch schlimmer beleidigt, die Chinesen zum Beispiel. Und ein bisschen was sei da ja auch dran. Im Ausland muss er häufig erklären, wo Lesotho liegt, auch in Deutschland. Was ihn aber ärgert: Dass Trump nicht aufrichtig gewesen sei. Als aktueller und ehemaliger Präsident müsse er doch wissen, dass es Lesotho gibt. Im Internet hat Shelile gelesen, dass man im Trump-Shop sogar Golf-Kleidung kaufen kann, die in Lesotho hergestellt wurde.

Als die Nachricht von Trumps Zöllen kam, ging es Shelile wie Ricky Chang: Es war ein Schock, der ihn im Bett heimsuchte. Dass Lesotho so weit oben auf der Liste stand, erklärte ihm die US-Botschaft in Lesotho später am Telefon so: Die Zölle richten sich nach dem jeweiligen US-Handelsdefizit. Und das ist im Fall Lesothos außergewöhnlich groß. Im Jahr 2024 exportierte das Land Güter im Wert von 237,3 Millionen Dollar in die USA, Diamanten und vor allem Kleidung. Umgekehrt waren es nur 2,8 Millionen Dollar. Aber schauen Sie sich mal diese absoluten Zahlen an, sagt Shelile. Bei anderen Ländern gehe es um Milliarden.

Dass Lesotho in den USA kaum einkaufe, habe zwei Gründe: Das Land sei klein und arm. Niemand hindere amerikanische Firmen daran, ihre Produkte in Lesotho anzubieten. Doch für die meisten sei der Markt irrelevant. Die Einfuhr-Zölle lägen bei 7,5 Prozent, so wie in allen Staaten der Zollunion des südlichen Afrika. Doch nicht einmal Südafrika oder Namibia hätten von Trump so hohe Zölle aufgebrummt bekommen wie Lesotho. Wegen des Handelsdefizits. Anders gesagt: Lesotho sei dafür bestraft worden, dass es besonders erfolgreich ein Abkommen namens Agoa genutzt habe.

Das Agoa-Abkommen, kurz für African Growth and Opportunity Act, sichert mehr als dreißig afrikanischen Staaten seit der Jahrtausendwende zollfreien Zugang zum amerikanischen Markt zu. Der Aufschwung der Textilindustrie in Lesotho ist wesentlich auf dieses Abkommen zurückzuführen.

Die USA sind heute nach Südafrika Lesothos zweitwichtigster Handelspartner. Was auch bedeutet – das bestreitet Shelile nicht –, dass in Lesotho nicht nur Afrikaner davon profitieren, sondern etwa auch die taiwanischen Textilkonzerne, die sich vor und nach 2000 im Land ansiedelten. Doch falls das der wahre Grund für den Ärger in Washington sein sollte, habe es ihm niemand gesagt, sagt Shelile. Alles sei völlig legal abgelaufen.

Das Agoa-Abkommen läuft in diesem Jahr aus. Dass die Trump-Regierung es verlängert, ist nicht anzunehmen. Die Zeiten des zollfreien Zugangs nach Amerika dürften für Lesotho also in jedem Fall vorbei sein, egal ob es am Ende der neunzig Tage auf fünfzig Prozent hinausläuft oder bei den zehn Prozent bleibt, die seit Trumps Zurückrudern für alle Länder außer China gelten. Für Shelile ist das ein Grund mehr, jetzt eine Doppelstrategie gegenüber den USA zu fahren: Einen neuen Deal verhandeln – und gleichzeitig die wirtschaftliche Abkopplung vorantreiben. „Ich will nicht herumsitzen und auf Trumps Entscheidung warten“, sagt er.

Was die Abkopplung angeht, ist Shelile zuversichtlich. Zumindest tut er so. In Südafrika gebe es viele mögliche Abnehmer. Und mittelfristig wollen sie auch mit anderen Ländern ins Geschäft kommen, mit Großbritannien, mit der EU. Für Hersteller, die wie Nien Hsing vor allem für den US-Markt produzieren, werde es schwierig werden, viele Tausend Arbeitsplätze sind hier bedroht. „Wir werden leiden müssen“, sagt Shelile. Doch die Industrie als Ganzes werde überleben.

Was einen neuen Deal angeht, ist er weniger zuversichtlich. Unmittelbar nach Trumps erster Zoll-Ankündigung hatte Lesothos Regierung angekündigt, eine Delegation nach Washington zu entsenden. Seitdem bemühen sie sich um einen Termin – so wie Dutzende andere Länder auch. Doch sie haben noch nicht mal jemanden ans Telefon gekriegt. Stattdessen, sagt Shelile, hätten sich bei ihnen Organisationen aus Washington gemeldet, die angeblich einen direkten Draht zu Trumps Wahlkampfteam oder seiner Familie hätten und einen Termin vermitteln könnten. Ohne Erfolgsgarantie, aber gegen Vorkasse. Die aufgerufenen Preise, sagt Shelile, reichten von 500 000 bis 105 Millionen Dollar.

„In Washington“, sagt Shelile, „sind persönliche Beziehungen heute wichtiger als offizielle Kanäle. Das ist neu für uns alle.“ Annehmen werde man trotzdem keines der Angebote. Das Geld sei besser investiert, wenn man der Textilindustrie damit bei der Erschließung neuer Märkte helfe.

Lesotho, sagt er zum Abschied, habe sich immer um gute Beziehungen zu den USA bemüht. Man habe alle Regeln eingehalten und bei den Vereinten Nationen die Linie der US-Regierung mitgetragen, etwa wenn es um die Ukraine ging. „Wir dachten, wir sind Freunde“, sagt er. „Aber im Moment sieht es nicht danach aus.“ Warum, das ist eine Frage, die ihn umtreibt. Eine Antwort hat er noch nicht gefunden, aber eine Annäherung. „Wenn du benachteiligt oder arm bist“, sagt Shelile, „dann hasst dich Trump wahrscheinlich mehr, als wenn du reich bist.“

Es geht ja gerade in Lesotho nicht nur um Jeans. Es geht um fast alles. Um Arbeitsplätze, um Entwicklungshilfe, um die Gesundheit der Bevölkerung. In jedem dieser Bereiche haben die USA hier in den vergangenen Jahrzehnten eine große Rolle gespielt.

Keiner dieser Bereiche bleibt jetzt von Trumps Politik unberührt.

Und damit aus dem Zentrum von Maseru noch mal an den Stadtrand. In ein Wohnzimmer, in dem Sophie Matjama, 53, eine kleine Frau mit kurzen Haaren und müden Augen, auf dem Sofa sitzt. An der Wand hängt ein Marienbild, auf dem Stapel im Bücherregal liegt ganz oben die Bibel. Seit zwei Monaten lebt sie hier mit ihrem Sohn. Aber es ist nicht ihr Haus, sondern das ihrer Schwester. Aus ihrem Haus musste sie ausziehen. Wegen „dieser Trump-Situation“. Sophie Matjama ist nicht ihr echter Name, den will sie für sich behalten. Dazu gleich.

Matjamas Leben war nicht immer einfach. Sie kommt aus einem Dorf in Lesothos Bergen, ihr Vater starb, als sie zwei war, die Mutter zog mit den Kindern nach Maseru. Die Familie war arm, die Schule beendete sie erst mit 25, nach mehreren Abbrüchen und Neuanfängen. Sie heiratete einen Südafrikaner, doch sie wurde nicht glücklich. Als vor sechzehn Jahren endlich ein Kind kam, war die Ehe längst zerrüttet, wenig später ging der Mann zurück nach Südafrika. Seinen Sohn hat er zuletzt vor zwei Jahren gesehen.

2018 wendete sich das Blatt für Sophie Matjama. Sie bewarb sich auf einen Job als Assistentin bei einer internationalen Organisation, die sich für die Rechte von Frauen in Lesotho einsetzt. Und wurde genommen. Das Gehalt war gut, viel besser als das, was sie bei einheimischen Arbeitgebern verdient hatte. Sie bekam sogar eine Krankenversicherung. Im großen Büro der Organisation in Maseru saß sie am Empfang, nahm Anrufe entgegen, erledigte Papierkram, machte abends sauber, wenn alle gegangen waren. Sie ging gern zur Arbeit, mehr als sechs Jahre lang.

Dann wurde an einem Tag Ende Januar die Belegschaft um neun Uhr morgens zu einer Konferenz einbestellt. Um die zwanzig Mitarbeiter versammelten sich im Büro, Hunderte weitere schalteten sich per Video zu. Die Chefs eröffneten ihnen, dass die neue US-Regierung die amerikanische Entwicklungshilfe mit sofortiger Wirkung eingefroren habe, auch hier: für neunzig Tage. Alle Mitarbeiter, die aus Mitteln von USAID bezahlt werden, könnten nicht weiter beschäftigt werden. Es waren mehr als vierhundert, sagt Matjama. Geht nach Hause, sagten die Chefs, wir melden uns, wenn wir neue Informationen haben.
Noch mehr als die Ankündigung selbst sei ihr die Stille danach in Erinnerung geblieben. Niemand sprach. Sie gab ihren Computer ab und machte noch ein letztes Mal im Büro sauber. Dann ging sie nach Hause. Ihr Vertrag endete am 31. Januar 2025, einen neuen bekam sie nicht mehr. Sie kündigte ihr Haus und zog bei ihrer Schwester ein. Vorübergehend, hoffte sie.

Wie so vieles, was Trump in den vergangenen Wochen verkündete, löste auch der Kahlschlag bei USAID erst mal Chaos aus. Amerikanische Gerichte beschäftigten sich mit der Entscheidung, Ausnahmen wurden genehmigt, Zahlungsstopps rückgängig gemacht. Doch nicht für das Programm von Sophie Matjama. Vor einer Woche hörte sie von Kollegen, dass das gesamte Mobiliar im Büro gespendet wurde, an ein Waisenhaus. So wie es aussieht, gibt es kein Zurück.

Matjama sagt, sie fühle sich, als sei ihr das ganze Leben genommen worden. Sie hat gespart, sie kommt ein paar Monate über die Runden, sie muss ja keine Miete mehr zahlen. Doch um ihre Zukunft mache sie sich Sorgen. Matjama ist HIV-positiv, wie etwa 270 000 Menschen in Lesotho.

Sie weiß es seit 2015. Damals entdeckte sie einen Knoten an ihrem Hals und kam in Südafrika ins Krankenhaus. Die Ärzte machten viele Tests mit ihr und teilten ihr schließlich zwei Befunde mit: Lymphdrüsenkrebs und HIV.

Den Krebs hat Matjama besiegt, die Chemotherapie schlug an. Das Virus hat sie im Griff, dank der weißen Pillen, die sie jeden Abend vor dem Schlafengehen nimmt. Sie unterdrücken das Virus so gut, dass es in Matjamas Körper seit Jahren nicht mehr nachweisbar ist. Als sie noch eine Arbeit hatte, bezahlte die Krankenversicherung die Medikamente. Jetzt bekommt sie die Pillen vom Staat, der sie ebenfalls umsonst ausgibt. Bis jetzt.

Außer ihrer Schwester hat Matjama niemandem erzählt, dass sie HIV-positiv ist. Nicht mal ihr Sohn weiß es. Sie fürchte sich vor Stigmatisierung, sagt sie. Einem Gespräch hat sie nur zugestimmt, wenn ihr Name nicht genannt wird. Jetzt hat sie eine neue Angst: Dass dem Staat die Medikamente ausgehen. Oder das Geld, um welche zu kaufen.

Die US-Regierung hat lebensrettende Hilfe von ihren Sparmaßnahmen ausgenommen. Doch nicht nur Matjama fürchtet, dass das im Fall der HIV-Medikamente ein leeres Versprechen bleibt. Der weltweite Kampf gegen HIV und Aids, der in den vergangenen Jahren in Afrika Millionen Menschen gerettet hat, wurde bislang vor allem von den USA bezahlt. Wenn dieses Geld fehlt, würden nicht nur Forschung und Prävention leiden, warnte Mitte März die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dann könnten bald auch die Medikamente fehlen. Akut bedroht seien acht Länder, Lesotho ist eines davon. Zwanzig Jahre Fortschritt stünden auf dem Spiel, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus. Zehn Millionen neue Ansteckungen und eine Verdreifachung der Todeszahlen seien zu befürchten.

Donald Trump, sagt Sophie Matjama jetzt auf ihrem Sofa in Maseru, denke nicht an das Leben anderer. Er denke nur an sich. Ob sie ihm das gern selbst sagen würde, sollte Trump auf seine alten Tage doch noch einmal persönlich nach Lesotho reisen? Nein, mit ihm reden wolle sie nicht. Wobei, eigentlich doch: Sie würde ihn fragen, ob er nicht einen Job für sie habe. Sie würde ihm sogar die Füße waschen.


Einschübe

Sie nähen hier einen amerikanischen Traum zusammen. Nur: Wie lange noch?

Das Handelsdefizit ist groß. Weil das eine Land so arm ist und das andere so reich

Sie würden ja mit der US-Regierung reden. Aber es geht keiner ans Telefon

Und dann sagt der Minister: "Ich dachte, wir sind Freunde."

Ihre HIV-Infektion ist unter Kontrolle. Aber bekommt sie weiter Medikamente?