Der Untergang
von Margret Hucko und Martin Noé
manager magazin vom 23.08.2024
Inhalt: Protokoll des Niedergangs des Immobilienkonzerns Signa zwischen September und Dezember 2023: Neben Funktionsweise und Scheitern des Konzerns betont der Artikel den Einfluss der intransparenten Konzernstruktur und des Größenwahns des Eigners René Benko, was Sanierungsversuche verhinderte und potenzielle Investoren abschreckte. Die Pleite endete in der Versteigerung aller Werte und strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Insolvenzverschleppung sowie schwerem Betrug.
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Der Untergang
Ende 2023 schlitterte René Benkos Immobilienkonzern in eine Pleite, die viele Milliarden kostete. [Medium] hat rekonstruiert, was in den letzten Wochen der Signa geschah – und wer die Verantwortung dafür trägt.
Als im November 2023 die Tage auch in Wien kälter werden und es fortwährend regnet, rückt die Pleite der Signa unerbittlich näher. Eben ist eine Delegation des Staatsfonds Mubadala der Vereinigten Arabischen Emirate in der Zentrale des Immobilienimperiums im Palais Harrach eingetroffen, begleitet von Juristen der Großkanzlei Freshfields. Die Araber erheben schwere Vorwürfe. Man fühlt sich betrogen – und sagt das auch in aller Deutlichkeit.
Bei dem Treffen, an dem Signa-Finanzchef Manuel Pirolt (40) und von der Signa angeheuerte Anwälte der Kanzlei White & Case teilnehmen, beschweren sich die Araber, die Signa verletze zahlreiche Kreditverträge. Mehr als 320 Millionen Euro Kreditsumme stehen aus, plus Zins und Zinseszins, man will sein Geld zurück. Geld, das die Signa nicht hat.
Die Nachricht des Treffens wird René Benko (47) zugetragen, der in diesen Tagen regelmäßig von seinem Heimatort Innsbruck nach Wien fliegt, sein Büro inmitten des barocken Prunks einnimmt und potenzielle Geldgeber abtelefoniert.
Als Benko hört, dass Mubadala sich beschwert, ruft er in Abu Dhabi an und lässt sich mit dem Fondsverwalter verbinden, mit dem er lange bekannt ist. So jedenfalls wird es bald in den Gängen des Palais erzählt. Was denn los sei, habe Benko ihm bedeutet, man habe doch so lange und erfolgreich zusammengearbeitet. Am anderen Ende der Telefonleitung wird abgewiegelt, man spricht freundlich miteinander. Irgendwann soll Benko gesagt haben, übrigens könne die Signa sehr gut frisches Geld gebrauchen. Er denke da an eine Summe zwischen 1 und 1,3 Milliarden Euro, und ja, am besten innerhalb der nächsten sechs Wochen.
Der Fondsverwalter verspricht, Benkos Wunsch mit den anderen Direktoren zu besprechen. Schließlich besitze die Signa Topimmobilien, an denen man durchaus interessiert sei. Man werde sich melden.
Selbst einige der angeheuerten Anwälte von White & Case, Banker von Rothschild und der Sanierungsexperte Arndt Geiwitz (55), die in diesen Tagen das Palais bevölkern, beginnen danach zu glauben, dass die Pleite doch noch abgewendet werden könnte. Dass René Benko sein Reich in höchster Not noch würde retten können. Der René, der die Signa aufgebaut und zum Multimilliardenkonzern gemacht hat. Der Dinge möglich macht, von denen andere nicht einmal zu träumen wagen. Der Wunderwuzzi eben.
Wenige Wochen nach dem Gespräch aber ist dann doch alles vorbei. Die Vereinigten Arabischen Emirate lassen weder Euro noch Dollar fließen, stattdessen reichen sie eine Klage ein, weil die Signa ihren Zahlungen nicht nachkommt. Am 29. November meldet die Dachgesellschaft, die Signa Holding, Insolvenz an. Berater und Banker geben ihre Schlüssel vom Palais Harrach ab; einer erzählt, er habe nach dem Stress noch ganz allein im Restaurant „Plachutta“ in der Wollzeile einen der viel gerühmten Tafelspitze gegessen und ein Glas Weißwein getrunken, bevor er am Nachmittag zurück nach Deutschland geflogen sei. Kurz danach gehen auch Benkos Immobiliengesellschaften Prime und Development pleite.
Heute, acht Monate später, sind längst neue Mieter in die Signa-Zentrale eingezogen. Die Büromöbel bis hin zum Papierkorb hat der Insolvenzverwalter versteigern lassen. Massen sind staunend durch Benkos „Protz-Palast“ ([anderes Medium]) flaniert. Gegen den früheren Hausherrn ermittelt die Staatsanwaltschaft in Wien, unter anderem wegen des Verdachts auf schweren Betrug.
Europas größte Immobilienpleite wird wohl strafrechtliche Folgen haben, auch wenn René Benko alle Vorwürfe bestreitet. Große Handelsunternehmen von Galeria Karstadt Kaufhof über die Globus-Gruppe in der Schweiz bis zur österreichischen Möbelhauskette Kika/Leiner kamen in der Pleite unter die Räder. Betroffen sind Zehntausende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, prominente Investoren sowie Banken und Versicherungen, die wohl Milliarden Euro verlieren werden. Insolvenzverwalter, Anwälte und Ermittler jagen dem verbliebenen Geld hinterher und der Frage nach, wer den Zusammenbruch zu verantworten hat.
Die letzten Tage und Wochen der Signa zwischen September und Anfang Dezember 2023 spielen für die Ermittlungen eine große Rolle. Von der Frage, ob das Unternehmen noch eine Chance hatte oder viel früher hätte Insolvenz erklären müssen, hängt auch juristisch einiges ab: Insolvenzverschleppung wäre strafbar. Vor allem aber offenbaren die Entscheidungen, Gespräche und Rettungsversuche der letzten Tage, wie René Benkos Signa funktionierte, warum sie kollabierte und auch, wer die Schuld daran trägt.
In den dramatischen Momenten des Niedergangs zeigt sich, dass Benko aus denselben Gründen scheiterte, die seinen Aufstieg zum Immobilienkönig Europas ermöglichten: seinem Größenwahn und der planmäßigen Intransparenz seines Konzerns.
[Medium] hat die letzten Tage der Signa in zahlreichen Gesprächen mit den Handelnden rekonstruiert; darunter sind ehemalige Topmanager, Banker und Sanierer genauso wie Gesellschafter, Aufsichtsräte und Investoren.
Wien, September 2023
Bei der Signa-Gruppe sind Krisensitzungen längst die Regel. Ende September trifft sich das Kontrollgremium der Signa Prime, in der die wichtigsten Immobilien der Gruppe gebündelt sind, vom gerade entstehenden Elbtower in Hamburg bis zum KaDeWe in Berlin. Für René Benko und die Aufsichtsräte, darunter große Investoren wie Robert Peugeot (74), die RAG-Stiftung und ein Vertreter des Spediteurs Klaus-Michael Kühne (87), steht ein Thema oben: Wie schafft man frisches Geld ran, um liquide zu bleiben?
Benko präsentiert. Etliche Objekte stehen zum Verkauf – immer beste Innenstadtlage. Die Investoren im Gremium wollen wissen: Wie viel Geld wird für die Refinanzierung von Krediten und den Weiterbetrieb der Baustellen gebraucht? Von um die 400 Millionen Euro ist die Rede, die in den nächsten Wochen zusammenkommen müssten, um die Prime am Laufen zu halten.
Tatsächlich ist die Lage deutlich schlimmer. Seit Monaten versucht Benko vergeblich, frisches Geld heranzuschaffen. Bei den Banken ist nichts mehr zu holen, seit die Europäische Zentralbank die Geldinstitute vor der Ausgabe weiterer Kredite an die Signa gewarnt hat. Wenige Wochen vor dem Treffen, am 17. August, ist der Versuch eines finanziellen Befreiungsschlags gescheitert. Der südkoreanische Fonds Meritz sagt ab; die erhofften 400 Millionen Euro werden nicht kommen. Die Mail, die Benko danach an seinen Finanzchef Pirolt schickt, besteht nur aus einem Wort: „Fuck“. Eine Antwort darauf spart sich Pirolt.
Aus der Prime fließt das Geld zu dem Zeitpunkt heraus wie Wasser aus einem löchrigen Planschbecken. Hunderte von Millionen Euro werden gebraucht für die Baustellen vom Wiener Luxuskaufhaus Lamarr über die Alte Akademie in München bis zum Hamburger Elbtower, dessen Bau fast ohne die Hilfe externer Geldgeber in den Himmel wachsen soll, seit die Landesbank Hessen Thüringen ihre Kreditzusage zurückgezogen hat. Für 2023 stehen allein 1,4 Milliarden Euro an nötigen Refinanzierungen in der Prime-Bilanz.
Auch an anderer Stelle leckt es gewaltig: Hunderte Millionen Euro müsste der Konzern in sein marodes Handelsgeschäft stecken. Es wird Geld zwischen den einzelnen Sparten der Signa hin und her geschoben oder in Zwischengesellschaften überwiesen, offensichtlich immer dahin, wo die Not am größten ist. Im August hebt Creditreform das für Kreditgeber wichtige Rating von Benkos Immobiliengeschäft auf. Nun sind potenzielle Investoren noch verunsicherter. Benko versucht zu beruhigen: Bis Anfang November wolle er zwei neue Geldgeber bringen, versichert er seinen Gesellschaftern.
Doch die Anteilseigner, die lange noch auf seine Geldbeschaffungskünste gehofft hatten, verlieren den Glauben. Nun ergreifen sie über die Aufsichtsräte die Initiative. Kühnes Vertreter Karl Gernandt (64), Jürgen-Johann Rupp (67) von der RAG-Stiftung und Autodynast Peugeot drängen beim Prime-Aufsichtsratsvorsitzenden Alfred Gusenbauer (64) darauf, dass externer Sachverstand hereingeholt wird.
Wien, Oktober 2023
Sie sprechen Henning Block (46) an, Partner der Investmentbank Rothschild & Co, und die Anwälte der Kanzlei White & Case unter Führung von Gernot Wagner (49). Ab Ende Oktober bevölkern deren Finanzexperten und -expertinnen die Wiener Zentrale der Prime; in Hochzeiten arbeiten bis zu 40 Menschen am Signa-Job. Ihre Aufgabe ist klar definiert: Sie sollen möglichst schnell einen Investor finden, der mindestens 500 Millionen Euro in die Prime schießt.
Die Berater und Banker finden Platz in den weitläufigen Signa-Räumen unter hohen, goldverschnörkelten Decken. Um 8 Uhr morgens geht es los, das Mittagessen wird gern von der „Trattoria Martinelli“, einem gehobenen Italiener im Palais Harrach, an die Schreibtische geliefert. Oder man besorgt sich schnell etwas beim Bäcker.
Gegen 11 Uhr zündet sich Benko häufig die erste seiner vielen Zigarren an, mit denen er alle einräuchert. „Das Erste, was ich am Wochenende machte, wenn ich nach Hause kam: Ich habe meinen Anzug in die Reinigungstonne geworfen. Er roch schlimm“, erzählt ein Berater.
Unter der Woche kreist alles um die Geldbeschaffung. Abends nach der Arbeit, so gegen 22 Uhr, gehen die Helfer meist direkt ins Hotel. Etliche wohnen im „Park Hyatt“, es gehört damals der Signa und liegt nur ein paar Schritte entfernt vom Palais im 1. Bezirk Wiens.
In diesen Tagen leuchtet sternschnuppengleich immer wieder Hoffnung auf, etwa wegen des Engagements von Mubadala. Tatsächlich verhandeln Benko und der Staatsfonds aus Abu Dhabi sehr bald über mehr als einen Kredit. Es geht um eine Mehrheitsübernahme der Prime. 2,5 bis 3 Milliarden Euro sind im Gespräch. Über eine Kapitalerhöhung hätten die Araber die wichtigsten Werte der Signa übernommen; man sei sich weitgehend einig gewesen, erzählt ein Insider. Erst im obersten Gremium des Fonds sei der Deal gescheitert und damit die Rettung der Prime.
Die Signa Holding allerdings, die kaum eigene Werte besaß, wäre auch im Falle einer Mubadala-Übernahme der Prime nicht zu retten gewesen, sagt einer, der den Deal mit strukturierte. Benkos Konglomerat als Ganzes hätte nicht überlebt – es ging zu diesem Zeitpunkt nur noch darum, die wichtigen Immobiliengesellschaften Prime und Development über Wasser zu halten.
Auch die Saudis mit ihrem Public Investment Fund (PIF) sind wieder im Spiel. Benko zeigt Gesprächspartnern gern ein Selfie mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (38). Man kennt sich gut von früheren Gelegenheiten. Die Saudis sind Teilhaber bei der britischen Kaufhauskette Selfridges, bei der Benko 2022 eingestiegen ist. Im Oktober und November finden mehrere Gespräche mit den PIF-Gesandten statt, am Ende ergebnislos.
Auch Hedgefonds werden angesprochen, vor allem von Rothschild. Da ist Elliott, gegründet von Paul Singer (80) und im Ruf eines knallharten, für Miteigentümer und Vorstände unangenehmen Investors. Die US-Amerikaner steigen regelmäßig bei Unternehmen ein, die kurz vor der Pleite stehen – oder auch erst danach. Wer mit Hedgefonds wie Elliott spricht, dem steht das Wasser meist schon bis zum Hals.
Neben Elliott und dem britischen Fonds Attestor führen im Spätjahr 2023 zwei weitere Hedgefonds tiefere Gespräche mit Rothschild. Zinssätze zwischen 15 und 20 Prozent aufs Jahr würde die Signa in Kauf nehmen, doch trotz solcher Angebote verabschieden sich nach und nach sämtliche potenziellen Nothelfer.
Ein Insider, der die Gespräche mit geführt hat, sagt, alle Interessenten seien an zwei Hürden hängen geblieben. Die Signa habe die Immobilien oft zu hoch bewertet; alle potenziellen Investoren hätten gewusst, dass die Bilanzwerte bei einem Verkauf häufig nicht erzielt worden wären. Und wegen der Komplexität der Signa habe man nicht garantieren können, dass die Kredite vorrangig gestellt worden wären, wenn es doch zur Insolvenz gekommen wäre. Denn unterhalb der Prime Selection gab es Hunderte Einzel- und Zwischengesellschaften, die eventuell vor den Hedgefonds bedient worden wären.
Der Finanzchef der Signa, Manuel Pirolt, sollte diese Einschätzung im Juni 2024 weitgehend bestätigen: „Es ist richtig, dass der eine oder andere mögliche Investor an der rechtlichen Komplexität gescheitert ist, obwohl er vielleicht Signa-Immobilien spannend gefunden hätte“, sagte er im Interview mit [Medium]. „Die Struktur der Signa war natürlich darauf ausgerichtet, den bestmöglichen Ertrag im Normalbetrieb zu erzielen, und nicht auf die schnellstmögliche Transparenz im Notfall.“
Die Grundlagen des Erfolgs der Signa, die steilen Aufwertungen der Immobilien und die kaum durchschaubaren Strukturen, verursachen also am Ende auch ihr Scheitern. Als es darauf ankam, war der Kaiser nackt. Und jeder konnte es sehen in den Tagen zwischen September und Dezember 2023.
Hamburg, November 2023
Anfang November führt der Prime-Gesellschafter Klaus-Michael Kühne den bettelnden Benko vor. Man trifft sich in Kühnes Hamburger Luxushotel „The Fontenay“. Benko lässt sich wie üblich mit seinem Privatjet einfliegen, begleitet von seinen Bodyguards, und bezieht die Luxussuite mit Blick auf die Außenalster; etwa 9000 Euro die Nacht kostet die Zimmerflucht, ein Betrag, den Kühne an dem Tag als Einnahme seines Hotels verbuchen kann. Er selbst gibt nichts. Jeden Versuch Benkos, frisches Geld zu bekommen, blockt er ab. Er habe, wie er kurz vor der Signa-Pleite sagen wird, „nicht schlechtem Geld gutes hinterherwerfen“ wollen.
Mit dabei in dem Gespräch ist Arndt Geiwitz. Der Sanierungsexperte hat für Benko schon die Galeria-Insolvenzen gemanagt, und auch Kühne hält große Stücke auf ihn. Schon im Juni hat Geiwitz versucht, bei der Sanierung der Signa Prime mit Benko ins Geschäft zu kommen. Der lehnt da noch ab, er hofft auf das Geld aus Südkorea. Als das schließlich ausbleibt und die Gesellschafter nach Lösungen rufen, engagiert Benko den Sanierer im Spätsommer doch. Geiwitz kommt mit zwei Mann seines Büros und arbeitet sich in Wien ein, ist allerdings nur zuständig für die Holding.
Wie Kühne sehen viele Gesellschafter in Geiwitz eine letzte Chance, ihr Geld zu retten. Sie drängen Benko per Brief zum Rücktritt. Nach einigem Zögern gibt Benko nach. Geiwitz führt ab 8. November den Beirat und „nimmt eigenverantwortlich die Interessen der Familie Benko Privatstiftung wahr“. So steht es zumindest in einer offiziellen Pressemitteilung der Signa.
Tatsächlich ändert sich nicht viel. Benko ist selbst im Untergang der erste Ansprechpartner für die meisten relevanten Fragen – ein Sachverhalt, der auch die Wiener Staatsanwälte interessieren wird. Sie sehen ihn als faktischen Geschäftsführer und eigentlichen Machthaber, auch wenn Benko das bestreitet.
Zwei Tage später verkündet die Signa „nächste Restrukturierungsschritte“. Der Firmensanierer Ralf Schmitz (57), ein Geiwitz-Buddy, sei ab sofort Chief Restructuring Officer der Gesellschaften Prime und Development. Schmitz und Geiwitz treten ihre Ämter jedoch nie an. Geiwitz habe die Stimmrechte des Haupteigentümers Benko nicht übernehmen können und damit auch nicht den Vorsitz im Gesellschafterkomitee; es bestehe „ein Risiko auf Auslösung von Grunderwerbsteuer“, teilt die Signa einige Wochen später mit.
Schmitz vermittelt später den Eindruck, er habe seiner Ernennung nie zugestimmt. „Freitag entschied der Aufsichtsrat, mich zum Vorstand zu bestellen, was sie dann umgehend per Pressemitteilung rausgeschickt haben. Ich habe der Bestellung jedoch sofort widersprochen“, sagt er [anderem Medium II] in einem Interview im Dezember 2023, in dem er Benko verteidigt („Ich habe vor seiner Einstellung in diesem Kampf großen Respekt“). „Die kritischen Fragen der EZB an die Banken“ sind für ihn Auslöser der Krise.
Der eigentliche Grund für die Absage des Duos dürfte ein anderer sein. Geiwitz und Schmitz stimmten dem Aussenden der Pressemitteilung offensichtlich nach dem Prinzip Hoffnung zu. Sie hatten darauf gesetzt, dass die Gesellschafter Eigenkapital nachschießen. In diesem Fall wollten die beiden Sanierer die Fremdkapitalgeber dazu bewegen, Zins- und Tilgungszahlungen auszusetzen. Noch heute glaubt Geiwitz, die Signa hätte eine Chance gehabt, wenn ihre Struktur nicht so intransparent gewesen und mehr Zeit geblieben wäre.
Ein Drittel der Immobilien soll damals im Schnitt noch schuldenfrei gewesen sein. Das Verhältnis der Kredite zum Wert der als Sicherheit dienenden Immobilien lag bei rund 65 Prozent. Damit hatten sich die Werte gegenüber den Vorkrisenzeiten um rund 20 Prozentpunkte verschlechtert; die Immobilien galten aber noch als beleihungsfähig. Jedoch trauten die Investoren der Bilanzierung nicht – zumal überall im Markt die Immobilienwerte ins Rutschen gerieten.
Als klar wurde, dass das Eigenkapital nicht kam, weil die Anteilseigner ihre Geldbörsen fest verschlossen hielten, verweigerten Geiwitz und Schmitz die Unterschrift beim Notar. Schmitz zog sich sofort zurück. Geiwitz machte noch ein paar Wochen als Berater weiter, kostenlos, wie er betont.
Barcelona, Ende November 2023
Am 24. November weisen die Flugdaten für Benkos Bombardier Global Express einen Flug nach Barcelona aus, der bald als Shoppingausflug der Benkos in [anderem Medium III] landet; Fotos des Ehepaars auf dem Flugfeld inklusive. In Wahrheit geht es wohl nicht ums Einkaufen. Die Benkos sollen überlegt haben, ihre Kinder statt in Innsbruck in Barcelona zur Schule zu schicken. So haben es ihnen Freunde geraten, zum Schutz der Kinder. Sie sollen Abstand gewinnen von dem Drama, das sich in der Heimat abspielt, der Pleite der Signa und dem tiefen Fall des lange gefeierten Starunternehmers.
Am 29. November meldet tatsächlich die Signa Holding als erste große Gesellschaft der Signa-Gruppe Insolvenz an. Die Berater verlassen nach und nach das Palais Harrach.
Nun werden andere wichtiger. Zum 1. Dezember entsendet der österreichische Bauunternehmer und langjährige Benko-Spezi Hans Peter Haselsteiner (80; Strabag), 15-Prozent-Anteilseigner der Holding, einen anderen Spezi als Vorstand in die Sparten Development und Prime: Erhard Grossnigg (77), mit dem er seit Langem eine Bürogemeinschaft in der Wiener Walfischgasse unweit der Oper teilt und der in Österreich ein Renommee als Restrukturierer genießt.
Grossniggs große Zeit als Sanierer allerdings liegt schon einige Jahre zurück. Er lässt lieber faxen, als dass er Mails per Smartphone verschickt. Gelegentlich nickt er in Sitzungen ein. Vor allem aber versendet er Briefe, die bei den Empfängern Verwunderung auslösen.
Kurz vor Weihnachten schreibt Grossnigg an die Gesellschafter, „wir benötigen EUR 350 Mio. schnell“. 9 Prozent Zinsen bietet er den Investoren, dazu einen Anteil am „Mehrwert (Verkaufswert vs. Zerschlagungswert)“. Das Geld solle die Prime und Development durch die nächsten Monate bringen. Die Gesellschafter jedoch haben jedes Vertrauen in Benko und die aktuell Handelnden wie Grossnigg verloren.
Ein Anteilseigner wundert sich: Ihm fehle jede Entscheidungsgrundlage. Weder der genaue Verwendungszweck noch die finanzielle Lage werden genannt. Relevante Sicherheiten fehlen. Niemand folgt dem Hilferuf des Möchtegern-Sanierers.
Ähnlich reagieren potenzielle neue Investoren, die der Signa-Vorstand brieflich um Geld angeht. „Da standen nur allgemeine Sätze drin über die tollen Immobilien, das war keine Grundlage für professionelle Investoren. So etwas können Sie vielleicht an die Hausbank eines Mittelständlers schreiben“, sagt ein Banker, der den Brief kennt.
In den letzten Tagen des Jahres 2023 gehen auch die Immobiliengesellschaften Prime und Development pleite. Alles ist verloren. Benkos Traumhäuser entpuppen sich als Luftschlösser.
Für den Pleitier wird es im neuen Jahr auch persönlich ungemütlicher – der Epilog auf die Signa gerät zur persönlichen Abrechnung mit Benko. Politik, Staatsanwaltschaft, private Geldgeber und eine in Deutschland unbekannte staatliche Institution namens Finanzprokuratur bringen Benko in die Defensive. An ihrer Spitze steht Wolfgang Peschorn (59), gemeinsam mit gut 50 Anwälten vertritt der Jurist als Anwalt die Interessen des österreichischen Staates – und das im Sinn der unbedingten Aufklärung. Peschorn, der schon einmal als Innenminister amtierte, gilt in Wien sogar als möglicher Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten.
Innsbruck, Januar 2024
Peschorn reicht einen Insolvenzantrag gegen Benko als Privatunternehmer am Landesgericht ein, wegen Steuerschulden. Der einstige Milliardär stellt sich als nahezu mittellos dar, auch wenn das schon angesichts der exquisiten Anwälte, die er beschäftigt, wenig glaubwürdig klingt. Er gibt an, als Beschäftigter von zwei Firmen 3700 Euro monatlich zu verdienen und im Übrigen von Zuwendungen seiner Mutter zu leben. 2019 belief sich sein Jahreseinkommen noch auf 29 Millionen Euro.
Benko wird gezwungen, seine Vermögenswerte und Einkünfte offenzulegen – die Ermittler bekommen erste Einblicke in das Netz seiner Stiftungen. Sie wollen herausfinden, ob Benko in den Monaten vor der Pleite noch Geld aus dem Unternehmen genommen hat.
Wien, 22. Mai 2024
René Benko eilt an den Fotografen und Kameraleuten vorbei, die auf seinem Weg ins österreichische Parlament Spalier stehen. Zielstrebig steuert er auf den Sitzungssaal zu, wo die Mitglieder des Untersuchungsausschusses auf ihn warten. Vor den Politikern steht ein Gescheiterter. Seine Augen wirken geschwollen, der Gesichtsausdruck müde. Der gut geschnittene Anzug täuscht nicht darüber hinweg, dass die vergangenen Monate dem Baumeister der Signa zugesetzt haben.
Vier Stunden lang muss Benko den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Die interessieren sich auch für sein politisches Netzwerk, zu dem der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz (37; ÖVP) gehört. Die Frage ist etwa, ob die staatliche Covid-19-Finanzierungsagentur Benkos Gesellschaften in der Pandemie zu üppig finanziert hat. Insgesamt ist die Signa nach Informationen des Ausschusses mit einem zweistelligen Millionenbetrag unterstützt worden; auch für sein „Chalet N“ in Lech, das als Hotel deklariert war, aber häufig von ihm und seiner Familie genutzt wurde, flossen Coronagelder.
Am Ende wird Benko sich in fast 50 Fällen nicht mehr erinnern, keine Meinung haben oder von seinem Recht Gebrauch machen, sich in laufenden Verfahren nicht selbst zu belasten.
Innsbruck, 25. Juni 2024
Die Tore von René Benkos Anwesen sind noch verriegelt, als gegen 7.30 Uhr ein Großaufgebot der Polizei samt Sondereinsatzkommando „Cobra“ in Igls bei Innsbruck vorfährt. Bis spät abends durchsuchen die Beamten die Villa des Immobilienpleitiers. Auch die Signa-Konzernzentrale in Wien, eine zweite Privatvilla Benkos und weitere Signa-Manager, etwa Benkos Finanzchef Pirolt, bekommen überraschenden Besuch. Die Staatsanwaltschaft hegt den Verdacht auf „Untreue“ und auf „schweren Betrug“, wie es im 18-seitigen Durchsuchungsbeschluss heißt. Bei Verurteilung drohen Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren beziehungsweise von einem bis zu zehn Jahren.
Die Juristen suchen nach Beweisen für ihre Annahme, dass Benko „sein Vermögen wirklich oder zum Schein verringert“ habe, „um dadurch die Befriedigung seiner Gläubiger“ zu vereiteln. Sein Anwalt Norbert Wess (49) weist die Vorwürfe zurück und teilt mit, dass sich sein Mandant „kooperativ und konstruktiv“ verhalten habe.
Sommer 2024
Die Wege der Notgemeinschaft, die sich im Palais Harrach für zwei Monate zusammengefunden hatte, haben sich längst wieder getrennt. Alle gehen ihren inzwischen sehr verschiedenen Interessen nach.
Mubadala, der Staatsfonds der Arabischen Emirate, der im November schon im Palais Harrach schwere Vorwürfe gegen Benko erhoben hatte, ersucht im Mai „vorläufige Maßnahmen“ vor einem Schiedsgericht in Paris. Ordentlich verzinst beläuft sich der Streitwert nun auf gut 700 Millionen Euro. Die Beschuldigten weisen alle Vorwürfe zurück.
Manuel Pirolt, Benkos treuer Finanzchef, tritt als Vorstand der Signa Prime im Juni ab. Die Wiener Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn im Durchsuchungsbeschluss vom Juli ebenfalls der „Untreue“ und des „schweren Betrugs“. Pirolt weist die Vorwürfe zurück. Seit der Signa-Insolvenz muss er alle privaten Zahlungen über das Konto seiner Frau oder seiner Eltern laufen lassen. Zahlreiche Banken haben ihm ein Girokonto verweigert.
René Benko muss sich vor allem um seine Verteidigung kümmern. Ehemalige enge Vertraute, Manager oder Investoren sind auf Abstand bedacht. Auch Benko meldet sich kaum noch bei ihnen. Wer mit ihm gesprochen hat, erlebte meist einen verbittert wirkenden Mann, der anderen die Schuld an seinem Sturz aus dem Immobilienhimmel gibt.
Wer noch zu ihm hält, kann auf einen Gunstbeweis hoffen. So hat Benkos ehemaliger Pilot, ein Jugendfreund, inzwischen einen neuen Job. Er ist Ende Juni zum Vorstand der Laura Privatstiftung aufgestiegen, in der Geldgeber noch hohe Werte vermuten und deren Begünstigte René Benkos Mutter Ingeborg ist.
Auch diese seltsam wirkende Wahl des Vorstands zeigt: Es ist einsam geworden um René Benko.
Einschübe
„Gegen 11 Uhr morgens zündete sich Benko seine erste Zigarre an.“ Ein enger Berater der Signa
„Ich wollte schlechtem Geld kein gutes hinterherwerfen.“ Klaus-Michael Kühne, Signa-Gesellschafter
„Es ist richtig, dass Investoren auch an der rechtlichen Komplexität scheiterten.“ Ex-Signa-Finanzchef Manuel Pirolt
Bildunterschriften
JULI 2023, HAMBURG: René Benko sieht man bei dem Fototermin den Stress an. Damals hofft er noch auf neue Geldschübe durch Investoren und Kreditgeber.
René Benko in der Signa-Zentrale. Im Herbst 2023 versuchte er, noch 500 Millionen Euro aufzutreiben, mindestens.
Abfuhr für Benko: Großaktionär Klaus-Michael Kühne empfängt René Benko im November 2023 in seinem Hamburger Hotel „The Fontenay“
Viva! Im November 2023 fliegen Benko und seine Frau Nathalie mit dem Privatjet nach Barcelona
Treu auch im Untergang: Signas Finanzchef Manuel Pirolt
Erfolgloser Sanierer: Arndt Geiwitz glaubte lange, dass sich die Signa noch retten lässt
Luftschloss, billig zu haben: Nach der Pleite wurde das Büro-Interieur des Palais Harrach versteigert – auch dieses Kleinod
Vorgeführt: René Benko sagt im Mai 2024 vor einem Untersuchungsausschuss des österreichischen Parlaments aus