Das Pergamonster
von Hannes Schrader
Der Spiegel vom 10.08.2024
Inhalt: Die Recherche legt das amtliche Versagen beim Umbau des Pergamonmuseums offen, das zu einer Explosion von Kosten und Bauzeit sowie mehrfachen Gerichtsstreits zwischen dem zuständigen Bauamt und Auftragnehmern führte. Der politische Sanierungswunsch wurde offenbar mit großer Naivität umgesetzt, stümperhafte Planung, Kündigungen/Firmenwechsel, Fehlentscheidungen und praktische Probleme beim Bau ließen das Projekt über Jahrzehnte eskalieren. Auch zum momentanen Zeitpunkt sei durch immer neue Sonderwünsche, Standardwechsel, kleinliche Einwände beteiligter Ämter und juristische Probleme kein Ende absehbar, wie es aktuell für Großprojekte in Deutschland typisch sei.
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Das Pergamonster
Ein Vierteljahrhundert Bauzeit, explodierende Kosten, unendliches Chaos. Die Sanierung des Berliner Pergamon, des berühmtesten Museums der Republik, ist ein deutsches Debakel.
Kein Durchgang, das Pergamon ist zu. Abgesperrt mit Bauzäunen und rot-weißen Plastikgittern, die Eingänge mit Holzplatten verrammelt. Die Fassade des Monumentalbaus ist zum Teil braun angelaufen und von alten Einschusslöchern vernarbt. Einen Weltkrieg hat das Museum überlebt, zwei Diktaturen kommen und gehen sehen.
Doch seine härteste Prüfung ist inzwischen die eigene Sanierung.
Der weltberühmte Pergamonaltar: verhüllt. Die fast 1300 Jahre alte Mschatta-Fassade: abgebaut. Das haushohe Markttor von Milet: zu. Statt mehr als einer Million Besucher pro Jahr: null.
»Pergamonmuseum wird für vier Jahre komplett geschlossen« – die Nachricht im letzten Jahr klang wie ein Witz, bei dem man erst allmählich versteht, die meinen das ernst. Seit Oktober ist das Museum geschlossen. Vollständig öffnen soll es erst im Jahr 2037 wieder. Vielleicht macht es sogar erst 2043 wieder ganz auf – statt 2010, wie einmal geplant.
Macht mindestens 24 Jahre Sanierung statt 5, wie einst angekündigt. Die Baukosten wurden ursprünglich mit 500 Millionen Mark veranschlagt. Die letzte Schätzung liegt bei 1,5 Milliarden Euro, wobei gerade mal wieder das Geld ausgeht. Ein paar Hundert Millionen Euro werden wohl noch dazukommen.
Man stelle sich vor, Paris schließt den Eiffelturm und sagt: Kommen Sie in 15 Jahren wieder vorbei. Oder New York renoviert das Metropolitan Museum und lässt sich ein Vierteljahrhundert Zeit. Die Museumsinsel mit ihrem größten Haus, dem Pergamon, ist ein Wahrzeichen Berlins und Deutschlands. Es ist das kulturelle Herz der Hauptstadt der Bundesrepublik. Der damalige Staatsminister für Kultur, Julian Nida-Rümelin, nannte die Insel 2001 das womöglich »größte Kulturbauprojekt der Welt«. Tatsächlich wurde es ein deutsches Debakel.
Statt mit den wichtigsten Häusern der Welt zu konkurrieren, mit dem Metropolitan Museum, dem Louvre, dem British Museum, wird das Pergamon nun in einem Atemzug mit anderen berühmten deutschen Krisengroßprojekten genannt: dem BER-Flughafen, dem endlosen Bahnhofsumbau Stuttgart 21.
Wie konnte das passieren? Warum dauert die Sanierung immer länger und wird immer teurer?
Es begann in einer anderen Zeit. Es war das Jahr 1999, und Gerhard Schröder hatte einen Traum.
1999: PHASE I – VISIONEN
Ein Geschenk für die neue Bundesrepublik. Die Götter schauen zu. Einstürzende Altbauten. Die Hauptakteure. Akten über Akten. »Wir werden das schaffen.«
Es war der 4. Oktober 1999, das vereinigte Deutschland hatte gerade seinen neunten Geburtstag gefeiert. An diesem Tag sprach der damalige Bundeskanzler zum Richtfest der Alten Nationalgalerie in Berlin, einem von fünf Museen, die zusammen die Berliner Museumsinsel bilden, errichtet zunächst im Auftrag der preußischen Könige ab 1823 im Laufe von mehr als 100 Jahren.
Der Bundeskanzler kam im dunkelgrauen Anzug, die Krawatte so breit wie sein Lächeln. So zeigen es Fotos des Festtags.
»Vor zwei Wochen habe ich die Kabinettssitzung in der Rotunde des Alten Museums abgehalten«, sagte Schröder. »Dort schauten uns die freundlichen Götter der Antike kritisch über die Schultern.« Die Regierung und das Parlament waren gerade aus Bonn in die Hauptstadt gezogen. Wenn er vom Schreibtisch aufblicke, sagte Schröder, könne er die Insel sehen.
»Wir haben Mut, und wir haben Visionen«, sagte Schröder. Er versprach, »die ganze Museumsinsel ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende wiederherzustellen«. Man wolle diese »einzigartige Versammlung von Museumstempeln in den nächsten zehn Jahren für die Kultur zurückgewinnen. Das hat sich meine Regierung in Zusammenarbeit mit den Ländern fest vorgenommen.«
Im Weltkrieg teilweise zerbombt, fiel die Insel nach der Teilung Berlins der DDR zu. Diese besserte über Jahrzehnte die Prachtbauten nur notdürftig aus. Das Neue Museum war auch 1999 noch eine Ruine, aus der junge Bäume wuchsen. Die fünf Museen neu erstrahlen zu lassen, darin schien die Politik vor der Jahrhundertwende eine Art Geburtstagsgeschenk an das neu vereinte Deutschland zu sehen.
Fünf Museen sanieren in zehn Jahren. Das war das Ziel.
»Und wir werden das schaffen«, sagte Gerhard Schröder.
Das ist fast 25 Jahre her. Sie haben es nicht geschafft.
Um zu verstehen, was geschah, hat [Medium] ein Jahr zur Sanierung des Pergamon recherchiert. Dabei wurden erstmals alle internen Sitzungsprotokolle der vergangenen 25 Jahre bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angefordert und ausgewertet. Die Bauunterlagen für die Sanierung umfassen mittlerweile Hunderte Aktenordner.
In den Sitzungsprotokollen sprechen die Beteiligten offen über die Probleme. Erstmals ist so ein vertiefter Einblick in das Chaos möglich. Manche Mitwirkenden sind gestorben. Viele, die das Projekt erdachten, sind in Pension oder mit anderen Projekten befasst. Einige von ihnen werden die Fertigstellung des Museums nicht mehr erleben.
Hunderte Fachleute, Firmen und Funktionäre haben und hatten ihre Hände im Spiel. Aber es gibt zwei Hauptakteure: das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Das BBR verantwortet wichtige Bauprojekte der Bundesrepublik, der Stiftung gehört das Gebäude. Ihr gehören auch die Ausstellungsstücke, und sie betreibt das Museum – nach ihren Wünschen wird saniert und gebaut.
Nach dem Lesen der Akten und Dutzenden Interviews bleibt kein anderer Schluss als dieser: Das BBR hat die Kontrolle über dieses Projekt schon vor Jahren verloren. Die Behörde bestreitet das, doch die Realität zeigt es. Tatkräftig unterstützt wurde sie dabei von der Stiftung, einer der größten Kulturstiftungen der Welt, die mit immer neuen Wünschen und Ideen die Kosten bis heute hochtreibt und die Bauzeit verlängert.
Am Anfang stand ein Plan, der keiner war.
2000: PHASE II – ABSICHTSERKLÄRUNGEN
Besuche bei alten Herren. Lange Wunschlisten. Ein Luftschloss wird gebaut. Es braucht eine Zahl. Politiker wollen einweihen. Noch nie gehörte Sätze.
Hausbesuch bei Florian Mausbach, 80. Bis 2009 war er Präsident der Baubehörde BBR. Mausbach, in Hemd und Hausschuhen, verbringt seine Tage als Pensionär in einem Klinkerhaus unweit der Havel im Westzipfel Berlins. »Hier wohnen auch der Wegner und der Raed Saleh«, erzählt er: der Regierende Bürgermeister von der CDU und der Fraktionschef der Berliner SPD. Zum Interview reicht er Haselnussschokolade und Filterkaffee.
Mausbachs Behörde lieferte 1999 die Zahlen, auf denen der sogenannte Masterplan Museumsinsel beruhte. Beauftragt hat diesen der damals frisch ernannte Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann: Alle fünf Museen auf der Museumsinsel sollten saniert werden. Das größte der fünf, das Pergamon, würde außerdem einen vierten Flügel bekommen. Und man wollte ein neues Eingangsgebäude bauen, um die Besuchermassen zu bewältigen. Und einen Gang, der die Museen verbindet. All das sollte innerhalb von zehn Jahren erledigt sein. Das Pergamonmuseum sollte der krönende Abschluss sein: Der Plan sah fünf Jahre Sanierungszeit vor, von 2005 bis 2010.
»Ich denke, wir haben gute Aussichten, dass es in dieser Zeit machbar ist«, sagte Lehmann vor dem Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Veranschlagte Gesamtkosten: knapp zwei Milliarden Mark, davon 500 Millionen für das Pergamon.
Tatsächlich gelang fast nichts davon.
Das Neue Museum öffnete drei Jahre später als angekündigt. Das neue Eingangsgebäude, das Lehmann 2005 eröffnen wollte, wurde 2019 fertig. Es heißt heute James-Simon-Galerie und kostete fast doppelt so viel wie versprochen: 134 Millionen Euro. Beim Alten Museum hat man noch nicht mal angefangen. Es soll erst nach Fertigstellung des Pergamonmuseums saniert werden.
Wenn man Florian Mausbach fragt, woher die Zahl »zehn Jahre« damals gekommen sei, dann muss er schmunzeln. »Ein bisschen eine stürmische Idee« sei das gewesen, sagt er. Man habe die Sache nun einmal rasch voranbringen wollen, »und dann haben wir uns überlegt: Man müsste das mit einem Zehnjahresplan machen«. Es habe sich dann recht bald gezeigt, dass die zehn Jahre »unrealistisch« seien.
Warum hat er das öffentlich nicht gesagt? »Warum?«, fragt er zurück und lacht. Die Frage scheint ihm abwegig, und vielleicht ist sie das auch. »Zehn Jahre«, sagt Mausbach, »ist eine schöne runde Zahl.« Die Zahl sei gar nicht ausgerechnet gewesen, sondern »in Hausnummern gedacht«. Es sei ein Zeitraum, den ein Kanzler noch überschauen könne, »der will ja auch immer einweihen«, sagt Mausbach.
Fast entschuldigend sagt Mausbach, er habe »keine Vorstellung davon gehabt, wie schwierig die Sanierung« sein würde. Schließlich sei er damals »ganz frisch im Amt« gewesen. Der damalige Präsident des Bauamts der Bundesrepublik wusste nicht so genau Bescheid über das größte Sanierungsprojekt des Landes, weil er noch neu im Job war.
Man spricht viel mit betagteren Männern, wenn man das Pergamon-Rätsel verstehen will. Klaus-Dieter Lehmann ist am Telefon. Er ist heute 84 Jahre alt, zweifacher Bundesverdienstkreuzträger, ein erfolgreicher Kulturmanager. Bis 2008 leitete er die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bis 2020 das Goethe-Institut. Auch er sagt, es habe sich bei den Zahlen des Masterplans um »Politik« gehandelt. Ziel sei es gewesen, langfristig Geld für alle Sanierungsprojekte zu bekommen. »Psychologie war mit dabei.«
War ihm klar, dass die Sanierung der Insel in zehn Jahren für das Geld nicht zu machen sein würde? Schweigen am Telefon. Dann sagt er: »Puh, das ist eine schwere Frage, die ich schwer beantworten kann.«
Nächster Besuch bei einem älteren Herrn: Norbert Heuler, auch er ist inzwischen über 70 und war von Anfang an dabei. Heuler hat über Jahrzehnte im Berliner Landesdenkmalamt gearbeitet und war seit Mitte der Neunzigerjahre mit der Sanierung der Museumsinsel befasst.
Zum Gespräch hat Heuler einige Bücher herausgelegt, darunter dieses: »Masterplan Museumsinsel – ein europäisches Projekt«, erschienen im Jahr 2000. Spricht man Heuler darauf an, dass der Plan ursprünglich auf zehn Jahre und zwei Milliarden Mark angelegt war, sagt er: »Das würde mich sehr wundern.« Eine solche Aussage sei »gar nicht möglich«, denn 1999 »gab es ja noch nicht mal einen Entwurf für das Pergamonmuseum«. Der Wettbewerb wurde erst ein Jahr später durchgeführt. Er hat die Zahlen offenbar noch nie gehört. Oder schon lange vergessen.
Doch sie stehen in genau dem Buch, das Heuler mitgebracht hat. [ReporterIn] schlägt das Buch auf und zeigt ihm die Stelle. Heuler liest vor: »Das Kostenvolumen der Baumaßnahme wird auf etwa zwei Milliarden D-Mark geschätzt. Der Rahmenterminplan sieht eine Umsetzung in zehn Jahren vor.« Er ist überrascht, nimmt sich einen Bleistift, um es zu notieren. »Das kann ich nicht sagen, wo diese Zahlen herkommen«, sagt er.
Aus dem Plan, bis 2010 fertig zu sein, wurde nichts. Keinen Spatenstich setzte man bis dahin beim Pergamon.
2001 – 2012: PHASE III – ES WIRD ERNST
Erst mal ein Wettbewerb. 10 oder 20 Jahre? Berlin geht das Geld aus. »Politisch nicht durchsetzbar.« Architekten sterben.
Es scheint, als würden öffentliche Großbauprojekte oft auf ähnliche Weise scheitern. Sie scheinen dieselben Phasen zu durchlaufen: Zunächst ist da ein politischer Wunsch, der mit groben Zahlen versehen wird, die viele für verbindlich halten. Es folgt ein Architekturwettbewerb, die Bauplanung. Wenn die Arbeiten beginnen, kommt es zum Schock, weil die Wirklichkeit weder zu den Plänen noch zum Budget passt. Die Kosten explodieren. So war es beim BER, so war es bei Stuttgart 21 und bei der Hamburger Elbphilharmonie. So wird es auch beim Pergamonmuseum kommen. Aber so weit sind wir noch nicht.
Im Jahr 2000, nachdem die Zahlen in der Welt waren, »wurde es ernst«, wie Ex-Bauamts-Präsident Mausbach heute sagt. Nun wurden die einzelnen Projekte des Masterplans »tatsächlich geplant«. »Und dabei«, sagt Mausbach, könne eben auch »rauskommen, dass es 20 Jahre dauert. Das ist so.«
Das Pergamonmuseum war, als Stiftungspräsident Lehmann den »Masterplan« ersann, seit dem Zweiten Weltkrieg nicht grundsätzlich saniert worden. Das Dach war kaputt. Im Sommer wurde es im Dachstuhl bis zu 60 Grad heiß. Das zu reparieren würde mindestens neun Jahre dauern, ging aus einem Gutachten hervor. Außerdem musste unter anderem das knapp 29 mal 17 Meter große Markttor von Milet abgebaut, aus dem Museum geschafft und restauriert werden. Das würde etwa sieben Jahre dauern, schätzte man. Man brauchte außerdem ein neues Brandschutzkonzept und eine Klimaanlage, die gab es nämlich nicht im Pergamon. Dazu musste ein ausgebauter Keller her, die Sanierung des Fundaments, Aufzüge, vieles mehr. All das stand in der öffentlichen Ausschreibung für den Architekturwettbewerb für die Sanierung im Jahr 2000.
Außerdem sollte das Museum während der Sanierung teilweise geöffnet bleiben, das war der Stiftung wichtig.
Den Wettbewerb gewann der Stararchitekt Oswald Mathias Ungers. Was sein Entwurf kosten sollte, fragte keiner. Ungers erste Schätzung traf ein, als er den Auftrag schon hatte, 2001: knapp eine Milliarde Mark. Doppelt so viel wie gedacht.
Diese Zahl führte zu Aufregung in der Stiftung: Die Summe sei »politisch nicht durchsetzbar«, so steht es in internen Protokollen. Einer traute sich sogar nachzufragen, ob die Mehrkosten, die entstehen, weil das Museum stets teilweise geöffnet bleiben würde, vertretbar seien. Bei einer Komplettschließung wäre die Sanierung besser planbar und preiswerter gewesen. Aber am Ende setzte sich die Stiftung durch: Das Museum sollte niemals ganz schließen. Bis es dann bekanntlich irgendwann doch nicht mehr anders ging.
Bald aber ging dem Land Berlin das Geld aus. Die Hauptstadt sollte die Hälfte der Kosten tragen. Es dauerte bis 2003, bis der Bund zusicherte, die Sanierung komplett zu bezahlen. Erst danach beauftragte man die Architekten.
Doch Ungers starb 2007. Nach seinem Tod musste ein neuer Architekt her. Es übernahmen drei Büros gemeinsam, die sich einarbeiten mussten, auch das dauerte ein paar Jahre. 2012 starb auch einer der drei neuen Architekten. Seitdem machen die übrigen es zu zweit: die Büros BAL und Kleihues + Kleihues aus Berlin. Sie haben sich zusammengeschlossen zur Werkgemeinschaft Pergamonmuseum.
In dieser Phase, von 2001 bis 2012, passierte am Pergamon fast nichts. Zwei Wochen musste man damals das Museum schließen, als man feststellte, dass die Decke im Pergamonsaal so marode war, dass sie Gäste zu erschlagen drohte. Aus dem Baubeginn 2006 wurde nichts. Auch das Jahr 2010 kam und ging. Statt eines neu strahlenden Kunsttempels erwartete die Kulturinteressierten eine Jahrzehnte währende Baustelle.
Erst 2013 ging es schließlich los mit der Sanierung. Damals hieß es: 2023 würde man fertig sein. Kosten sollte die Sanierung 385 Millionen Euro – so weit die Absicht.
Bis man anfing zu graben.
2013 – 2015: PHASE IV – DER REALITÄTSSCHOCK
Auf Schutt gebaut. Die Spezialisten kommen. Kompliziert, aber machbar. Es wird gebohrt. Eine durchgerissene Mauerstütze. Eine 50-Millionen-Baugrube.
Das Pergamon steht teilweise auf einer sogenannten Kolklinse, einer Vertiefung im Flussbett der Spree, die sich über Jahrhunderte mit Torf und fauligem Schlamm füllte. Darauf kann man kein tonnenschweres Museum bauen, in dem man tonnenschwere Ausstellungsstücke versammelt. Das merkten schon die Architekten, die den Bau Anfang des 20. Jahrhunderts errichteten: Für Teile des Gebäudes trieben sie bis zu zwölf Meter lange Eichenstämme in den Schlamm. Sie bauten unter dem Südflügel eine unterirdische Brücke, damit das Museum nicht in die Spree kippt. Einen Teil des Kolks hoben sie aus, Dutzende Meter tief, und füllten das Loch mit Bauschutt.
Der neue Plan sah vor, einen großen Teil des Museumskellers tiefer zu legen – vor allem, um Platz für Technikräume zu schaffen. Deshalb untersuchte man den Untergrund: Ein Ingenieurbüro bohrte, sondierte, rechnete, schrieb Berichte und Gutachten. Insgesamt fertigten die Ingenieure mindestens ein Dutzend Einschätzungen an. Ihr Fazit: kompliziert, aber machbar.
Man war optimistisch: »Das Risiko für die Umsetzbarkeit erscheint nicht sehr hoch«, hieß es bei einer internen Sitzung. Im August 2012 beauftragt das Bauamt zwei Firmen damit, die Baugrube auszuheben und das Fundament zu stabilisieren: die Keller Grundbau und die Bauer Spezialtiefbau. Es sind zwei der größten Tiefbaufirmen der Welt. Sie haben Zehntausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bestehen beide seit mehr als 150 Jahren. Etwa 13,5 Millionen Euro sollte die Sanierung des Fundaments kosten.
Im September 2013 legen die Bauarbeiter los: im Keller unter dem Forum. Das ist der große Platz, den das Museum umfasst wie ein U. In diesem Keller stehen gemauerte Stützen, so dick wie zwei Kühlschränke nebeneinander. Diese Stützen, so hieß es laut den Unternehmern vom Bauamt, leiteten die Last der Decke in den Boden ab. Die Tiefbauer sollten den Boden aufbohren und unter die hundert Jahre alten gemauerten Stützen Zement spritzen, um die Stützen zu verlängern. So sollte der Keller in die Tiefe erweitert werden.
Doch als die Tiefbauer den Boden aufbohrten, fanden sie Stahlträger, die unter den Mauerstützen entlang des gesamten Fußbodens ein Netz spannten. Offenbar trugen die Stützen die Last nicht allein, auch der Kellerboden war offenbar Teil des statischen Systems. »Aber vom BBR hieß es anfangs, kein Problem, die Stahlträger sind ja in den Plänen nicht vermerkt, die könnt ihr rausnehmen«, sagt einer, der damals dabei war.
Doch dann, so erzählen es die Unternehmer heute, merkten die Bauarbeiter, dass sich das Gewölbe durch ihre Eingriffe setzte und verschob. Am 14. Januar 2014, nach nur drei Monaten Arbeit am Keller, zerriss eine der gemauerten Stützen vollständig. »Der Riss ging mittendurch, da konnte man seinen Arm durchstecken«, sagt ein Vertreter der Baufirmen.
Als die Bauarbeiter Löcher in den Boden bohrten, um zu sehen, worauf das Museum steht, stellten sie fest: Der Untergrund war teilweise gar nicht mehr da. Sie fanden Hohlräume. Wie bei einer Kaffeedose, die bis oben hin voll mit Pulver ist: Schüttelt man sie sanft, ist oben wieder Platz. So ähnlich hatte sich der Boden unter dem Pergamon über die Jahrzehnte teilweise verdichtet.
Die Tiefbauer weigerten sich unter diesen Umständen weiterzuarbeiten: »Wir hatten Angst, dass der ganze Keller einbricht und unsere Mitarbeiter sich verletzen«, sagt ein Verantwortlicher von damals.
Es begann ein Streit. Einer der Bauunternehmer sagt: »Das BBR hat im Endeffekt gesagt, macht einfach weiter, da wird schon nichts passieren.« Doch den Tiefbauern reichte das nicht. Sie machten Vorschläge, die Arbeiten zu sichern – was zu Mehrkosten geführt hätte. Das Bauamt jedoch wollte nicht mehr zahlen. Es kündigte den beiden Tiefbaufirmen.
Das Ergebnis: Wegen des Streits wurde sieben Monate lang überhaupt nichts unternommen an der Baugrube. Weil die Spezialtiefbauarbeiten aber die Grundlage für alle weiteren Gewerke waren, konnte währenddessen auch niemand anders ran. Am Ende kostete die Baugrube fast 50 Millionen Euro. Auch weil die neuen Tiefbauer alte Baubehelfe im Boden fanden, die aufwendig und teuer entfernt werden müssen – das allein dauerte ein Jahr. Die Arbeiten wurden erst 2018 abgeschlossen.
Das Bauamt streitet sich bis heute vor Gericht mit Keller und Bauer. Die Unternehmen fordern mehr als zehn Millionen Euro für nicht gezahlten Lohn und andere Kosten, weil das BBR ihnen zu Unrecht gekündigt habe. Die Behörde wiederum verlangt von den Unternehmen fast 15 Millionen Euro Schadensersatz, wegen der Mehrkosten, die ihr durch die Kündigung entstanden seien. [Medium] hat das BBR mit den Aussagen der Spezialtiefbauer konfrontiert. Dort wollte man sich jedoch mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern.
Ab 2015: PHASE V – DIE PLANUNG DER PLANUNG
Treffen auf einem Rittergut. Eine Million Details. Zum Beispiel Feuerlöschtechnik. Sechs Planungsbüros. Eine einvernehmliche Trennung.
Das Örtchen Wölsickendorf, eineinhalb Autostunden östlich von Berlin, war mal ein Rittergut, im Ortskern steht bis heute ein stolzes Gutshaus. Auf dessen Treppe wartet im eisbestäubten Januar dieses Jahres ein Mann in Wanderschuhen und dunkler Hose. Er heißt Ralph Loge und hat hier sein Büro.
Loge plant Feuerlöschtechnik, das ist sein Beruf. Die Feuerlöschplanung vom Berliner Schloss, der Staatsbibliothek, der Hamburger Elbphilharmonie: sein Werk. Auch am Pergamon war er beteiligt.
Ein Bauprojekt durchläuft insgesamt neun Phasen, vier davon tragen »Planung« im Namen: Vorplanung, Entwurfsplanung, Genehmigungsplanung, Ausführungsplanung. Mit jeder Phase wird die Planung detaillierter. In der Ausführungsplanung sind Pläne teilweise im Maßstab 1:1 nötig.
Die Ausführungsplanung soll Baufirmen klar machen, was sie zu tun haben. Hier soll eine Steckdose hin, dort muss eine Leitung verlegt werden, folgendes Material wird gebraucht. Ohne eine vollständige Ausführungsplanung kann man nicht bauen, insbesondere nicht bei Großprojekten, wo zahlreiche Ausführende aneinander vorbeikommen müssen, voneinander abhängig sind.
2015 fragte das Bauamt Loge an: Die Behörde suchte jemanden, der die eigentlich fertige Ausführungsplanung der Feuerlöschtechnik für das Pergamon umsetzt. Loge sollte sicherstellen, dass korrekt nach den Plänen gebaut würde. Doch als er die Pläne prüfte, stellte er fest: Sie waren unvollständig und nicht mit den anderen Fachplanern koordiniert. Die Dokumente mussten nahezu vollständig überarbeitet werden. »Dem BBR war das offensichtlich nicht aufgefallen«, sagt Loge. Das geht auch aus den Unterlagen des Amts hervor: Nachdem die neuen Planer sich eingearbeitet hatten, sei aufgefallen, »dass massive Mängel in der Planung« vorhanden seien, hieß es intern.
Auf Anfrage teilt das Bauamt mit, es gehöre zu seinen »Kernaufgaben«, die Planung zu prüfen. Das habe man auch getan und die Pläne mit Mängelberichten an die neuen Büros übergeben.
Die Pläne stammten vom Berliner Büro Obermeyer Planen+Beraten. Das BBR hatte die Firma 2009 mit einem großen Teil der Ausführungsplanung beauftragt: Heizung, Lüftung, Sanitär, Küchentechnik, Feuerlöschtechnik und Gebäudeautomation, dazu gehören etwa die Aufzüge. Die Idee: Wenn einer vieles plant, kann man die Planung leichter koordinieren, damit sich niemand in die Quere kommt.
Doch beim Pergamon lieferte das Büro Obermeyer offenbar die Pläne nicht pünktlich an die Architekten, wie interne Unterlagen des Bauamts nahelegen. Und was geliefert wurde, war laut den Architekten so schlecht, dass man nicht damit arbeiten konnte. Obermeyer wollte sich auf Anfrage von [Medium] nicht zu den Vorwürfen äußern.
Im September 2015 trennte sich das Amt vom Planungsbüro Obermeyer. Nach der Kündigung musste so schnell wie möglich Ersatz her, denn es drohte ein Baustopp: Alle Firmen, die schon am Werk waren, würden die Arbeit niederlegen, mit massiven Kostenfolgen. Weil aber Ersatz für die Gesamtplanung schwer zu finden war, entschied das BBR, den Auftrag auf sechs Planungsbüros zu verteilen. Ein großes Zahnrad im Getriebe wurde durch sechs kleine ersetzt. Der Planer für Feuerlöschtechnik, Ralph Loge, ist eines dieser Zahnräder.
Kurzfristig löste die Behörde damit ein Problem. Langfristig schuf sie sechs neue. Denn nun konnte nicht mehr nur in einem Planungsbüro etwas schiefgehen, sondern in sechs.
Loge beginnt im Herbst 2016. Das BBR hat das Museum in 40 Planabschnitte eingeteilt, in denen die Planer sich abstimmen müssen, damit etwa Leitungen nicht zu nah beieinander liegen. Pro Abschnitt waren etwa 4 Gesprächsrunden der verschiedenen Planer vorgesehen. Tatsächlich brauchte man pro Abschnitt 13. »Das waren endlose Runden«, sagt Loge. Die Umplanungen sind laut Amt erst seit Juni dieses Jahres vollständig abgeschlossen.
Im August 2018 kündigt das Bauamt Ralph Loge wegen »Schlechtleistungen«. Der Grund laut Loge: Er kam nicht zu den vereinbarten Koordinierungsrunden. Loge sagt, das wäre sinnlos gewesen; um seine Planung zu machen, benötigte er die Pläne der anderen Fachplaner. Doch diese seien noch nicht weit genug fortgeschritten gewesen. Außerdem arbeitete er parallel am Humboldt-Forum. »Beides habe ich nicht geschafft.«
Das BBR hatte, als es Loge kündigt, bereits ein neues Büro an der Hand, das sich vier Wochen einarbeitet – dann jedoch ohne Angabe von Gründen den Auftrag ablehnt. Erneut musste die Behörde einen neuen Dienstleister finden. Eine vollständige Planung der Feuerlöschtechnik lag den Architekten deshalb erst 2019 vor. Ähnlich lief es bei der Elektrotechnik: Ein Planer starb überraschend, Herzstillstand beim Joggen. Die Firma ging insolvent, der Nachfolger fand mangelhafte Planung vor, plante jahrelang um und gab 2019 selbst auf. Ursprünglich waren für die Technische Gebäudeausrüstung des Pergamon drei Planungsfirmen verantwortlich. Durch Kündigungen, Pleiten und Pannen waren inzwischen insgesamt 17 Firmen daran beteiligt.
Nach jahrelangem Planungschaos teilte das Bauamt 2019 intern mit, dass »nahezu alle Verträge« für beauftragte Baufirmen inzwischen außerhalb der avisierten Vertragslaufzeiten lägen – denn ohne Planung können sie nicht bauen.
Ab 2016: PHASE VI – EXPLODIERENDE KOSTEN
Kampf der Götter. Der letzte Kaiser Deutschlands. »Reserven nicht vorhanden.« Eine Schätzung verzehnfacht sich. Es koste, was es wolle.
Ein Besuch im Pergamonmuseum, Februar 2024. Damit man nicht vergisst, was hier dem Auge des Betrachters vorenthalten bleiben wird, teilweise bis 2037.
Der berühmte Sockel des Pergamonaltars ist abgedeckt. Blass schimmert der mehr als zwei Meter hohe Marmorfries des Gigantenreliefs unter einer Plastikplane. Vor mehr als 2000 Jahren schliffen die Bildhauer für die antike Stadt Pergamon den Kampf zwischen den olympischen Göttern und den Giganten aus dem Stein. Das Relief zeigt Zeus, den griechischen Göttervater, der seinen Feind mit einem Blitz erschlägt, und Athena, die einen der Giganten an den Haaren packt. Die Giganten, so die Sage, kämpften gegen die Götter. Es war eine Schlacht der Ordnung gegen das Chaos. Die Götter gewannen, das Chaos unterlag.
Der Fries war Teil eines gigantischen Altars, den Pergamons Herrscher auf einem Berg errichten ließ: 34 Meter tief, 36 Meter breit. Eine 20 Meter breite Freitreppe führte zum Altar. Darauf verbrannten die Priester wohl Opfergaben für die Götter. Das Königreich Pergamon versank im Staub der Geschichte. Ende des 19. Jahrhunderts grub ein deutscher Ingenieur den Altar aus und ließ die tonnenschweren Teile nach Berlin verschiffen.
Man schaudert ein wenig, wenn man davorsteht. Der Saal, der den Altar beherbergt, ist so groß, dass ein Mehrfamilienhaus hineinpassen würde. Um die Fundstücke aus Pergamon auszustellen, ließ Wilhelm II., der letzte Kaiser Deutschlands, das Pergamonmuseum überhaupt erst errichten. Bereits dieser Museumsbau hatte Mängel und wurde durch einen Nachfolgebau ersetzt. Dessen Sanierung im 21. Jahrhundert ist jedoch eine Geschichte, in der die Giganten gegen die Götter triumphieren: Das Chaos obsiegt.
Im Oktober 2015 teilte das Bauamt in einer internen Runde den Vertretern des Bundesfinanzministeriums, der Kulturstaatsministerin und der Stiftung mit, dass ihm das Geld ausgehe: »Da das Budget erschöpft ist, können Rückstellungen für Nachträge nicht gebildet werden. Im Ergebnis ist festzustellen, dass bei gleichen Qualitäten und Quantitäten das Budget nicht ausreicht. Reserven zur Deckung der Mehrkosten sind nicht vorhanden.«
Es ist der Moment, in dem sich alles rächt. Die Schlamperei an Baugrube und Fundament, die Planungssauerei. Und es ist auch der Moment, in dem über die Zukunft der Sanierung entschieden wird. In dem endgültig alle Beteiligten entscheiden: Wir machen das jetzt, koste es, was es wolle.
Das Bauamt muss die Bundesvertreter um mehr Geld bitten. Über eine erste Geldspritze von 50 Millionen Euro war da schon entschieden worden. Doch die Behörde rechnete ihren Geldgebern weitere Bedürfnisse vor: Man werde mindestens 18 Millionen Euro zusätzlich benötigen. Wenige Monate später, im März 2016, steigt die Schätzung des BBR auf 80 Millionen Euro. Als Grund für die Kostenexplosion nennt die Behörde den fassungslosen Bundesvertretern eine »andere Herangehensweise« der Kostenberechnung. Doch die wahre Explosion kommt noch: Im August 2016 teilt das Bauamt mit: Man brauche 182 Millionen Euro. Das Zehnfache der ursprünglichen Schätzung.
Allein die Probleme mit der Baugrube und die missratene Planung kosten laut Bauamt knapp 80 Millionen Euro. Unter anderem mussten bereits eingebaute Türen wieder ausgebaut werden, da sie nicht dem technischen Standard entsprachen.
Die neue Kostenschätzung trifft die beteiligten Bundesvertreter unvorbereitet: Sie sei »für alle in der Höhe erschreckend«, heißt es intern. Ein Vertreter der Kulturstaatsministerin, die damals Monika Grütters heißt, sagt in einer Sitzung im August 2016, die Kosten und das Verhalten des Bauamts seien »ein echtes Desaster«. Der Fall werde den Bundestag beschäftigen, heißt es in der Runde.
Letztlich haben die Verantwortlichen des Bundes jedoch keine Wahl – sie müssen das Geld besorgen. Der erste Bauabschnitt sollte ursprünglich 261 Millionen Euro kosten, nach dem zweiten Nachtrag liegt man bei knapp 490 Millionen Euro.
Hinzu kommt ein weiterer Brocken: Die gestiegenen Kosten beziehen sich ausschließlich auf den ersten Bauabschnitt, den Nordflügel des Museums. Die Sanierung des anderen, damals noch für das Publikum geöffneten Südflügels, ist nicht inbegriffen.
Ursprünglich sollte der Südflügel etwa 124 Millionen Euro kosten. Doch die Pläne dafür stammten aus dem Jahr 2007 – bis zum vorgesehenen Sanierungsbeginn wäre alles Geplante längst veraltet. Deshalb schlägt das Bauamt 2016 vor, alles wegzuschmeißen und den gesamten Südflügel neu planen zu lassen. Heute rechnet man daher allein beim Südflügel mit Kosten von einer Milliarde Euro – eine Verachtfachung.
Das Pergamonmuseum ist schon heute womöglich die teuerste Sanierung einer Kulturstätte in der Geschichte der Bundesrepublik: Die jüngste Gesamtkostenschätzung des Bauamts liegt bei 1,5 Milliarden Euro.
Und dabei wird es wohl nicht bleiben: Denn die knapp 490 Millionen Euro für den Nordflügel reichen wahrscheinlich nicht. In einer Sitzung im September vergangenen Jahres teilte das BBR intern mit: Das Budget für den ersten Bauabschnitt sei nahezu erschöpft. »Das Risiko für einen weiteren Nachtrag ist hoch.«
Ab 2017: PHASE VII – VOR GERICHT
Man verklagt sich gegenseitig. Die Sache mit Leitungsschacht S310. Wand verputzen unmöglich. Angezweifelte Gutachten. Das Denkmalamt hat Einwände. Bitte mehr beigefarbene Tupfer. Kein Ausweg, nirgends.
Im holzgetäfelten Saal 142 des Berliner Landgerichts I in Charlottenburg treffen im März 2024 die Parteien eines Zivilprozesses aufeinander. Zwei Anwälte für die Klägerseite, zwei Anwältinnen für die beklagte Partei. Ein Zettel am Eingang verrät: Es klagt die Werkgemeinschaft Pergamonmuseum gegen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Architekten von Kleihues + Kleihues und BAL, die die Sanierung des Pergamonmuseums verantworten, verklagen ihren Auftraggeber. Das Verfahren läuft seit 2022. Man zankt sich an diesem Tag um einen Leitungsschacht, der hinter einer Wand verläuft, genauer: um Schacht S310.
Als Zeuge für die Architekten ist der Projektleiter der Werkgemeinschaft zugegen, Jörg Lenschow. »Die Wand wartet seit zwei Jahren darauf, verputzt zu werden«, sagt Lenschow. Doch sie kann nicht verputzt werden, solange Schacht S310 nicht geschlossen ist. Und dieser stand jahrelang offen, weil die Planung nicht abgeschlossen war. Es war, so der Zeuge, unklar, ob noch ein Kabel in den Schacht hineinmusste.
Wegen eines Schachts steht man vor Gericht? Tatsächlich ist Schacht S310 nur ein Beispiel. Die Werkgemeinschaft will zeigen, wie mangelhafte Planung die Arbeit an der Sanierung verzögert habe. Weil sie deswegen länger arbeiteten, verlangen sie auch mehr Honorar. Sie haben ein Gutachten vorgelegt, laut dem die Verzögerungen am Schacht S310 die Sanierung bis 2026 verlängern könnte. Das Bauamt und die Stiftung sehen das naturgemäß anders. Die Anwältinnen der Stiftung zweifeln das Gutachten der Architekten an, widersprechen in allerhand Punkten.
Sie fragen Lenschow: »2021, war da die Putzfrage schon geklärt?« Lenschow: »Ja, der Kalkputz und die Farbe standen fest. Dann hatte das Landesdenkmalamt aber Einwände.«
Offenbar hatte jemand aus dem Landesdenkmalamt den Putz freigegeben, ging dann aber in Ruhestand. Die Nachfolgerin wollte den Putz noch mal prüfen lassen, weil man bestimmte »Tupfer« auf der Wand gefunden hatte, die offenbar aus dem ursprünglichen Bau stammten. Anschließend forderte das Landesdenkmalamt, zusätzlich zum Putz beigefarbene Tupfer anzubringen.
So geht es eine Weile. Während die Öffentlichkeit Jahrzehnte auf die Wiedereröffnung des Pergamons warten muss, diskutiert die zuständige Bauherrin mit ihren Architekten vor Gericht über beigefarbene Tupfer.
Im Verfahren um Schacht S310 geht es um zusätzlichen Lohn von 350.000 Euro. Peanuts. Insgesamt wollen die Architekten aber etwa zwölf Millionen Euro mehr: Sie verlangen mehr Honorar für mindestens vier Jahre Bauverlängerung. Sie berechnen laut den Unterlagen des Bauamts pro Monat 210.000 Euro plus Umsatzsteuer.
Das Verhältnis zwischen dem BBR und seinen Architekten ist offenbar seit Langem zerrüttet: In internen Unterlagen heißt es schon 2017, man habe »intensiv geprüft«, ob man der Werkgemeinschaft Teile ihrer Aufgaben entziehen könnte. Gleichzeitig waren laut der Behörde die »Komplexität und Abhängigkeiten im Bauvorhaben« offenbar inzwischen so »enorm«, dass man sich nicht mehr traute, wichtige Player auszutauschen. Es gibt keinen Ausweg. Weder die Architekten noch das BBR wollte sich auf Anfrage zu den Verfahren äußern.
Diverse Firmen, die an der Pergamon-Sanierung beteiligt sind oder waren, liegen mittlerweile im Rechtsstreit mit dem Amt. Sie haben ihren Auftraggeber verklagt oder wurden von ihm verklagt. Auch mit dem Vermieter eines Depots, in dem die Behörde Kunstwerke zwischenlagert, kämpft sie vor Gericht. In diesem Fall beglich das Bauamt offenbar die Miete nicht, der Vermieter kündigte, die Behörde ging dagegen vor, es geht um 39.000 Euro. Dann ist da eine Firma, die Starkstromkabel verlegte und der das Bauamt kündigte. Die Firma klagte gegen das Amt, bekam in erster Instanz recht, jetzt klagt das BBR wiederum gegen die Starkstromfirma. Die Behörde teilte auf Anfrage mit, zu laufenden Verfahren äußere man sich grundsätzlich nicht.
Es ist wie beim Scheidungskrieg: Einst Vermählte finden sich vor Gericht wieder, und es geht nur noch ums Geld. Bloß mit dem Unterschied, dass hier die ehemaligen Partner danach nicht immer einfach auseinandergehen können. Sie müssen weitermachen.
Ab 2023: PHASE VIII – WEITERWURSTELN
Eine Baustellenbegehung. Im Bauch des Monsters. Nicht Zitierfähiges. Geht das auch mit Photovoltaik? Geschlechtsneutrale Klos. Alles ganz normal.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Bauamt haben zu einem Gespräch und einer Baustellenbegehung eingeladen, es ist Februar 2024. Treppen führen hinunter in den mittlerweile tatsächlich tiefer gelegten Keller des Museums. Baustrahler liefern Licht, auf dem Boden liegt Kabelgewirr. Hier ist der Bauch des Monsters.
Es ist eine Begegnung mit einigen der operativen Hauptverantwortlichen des Projekts, die allerdings offenbar am liebsten unsichtbar bleiben.
Vor einer grauen Betonwand steht Barbara Große-Rohde vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, die verantwortliche Referatsleiterin für die Sanierung der Museumsinsel. Daneben Claudia Zirra, die Abteilungsleiterin Bau bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Außerdem ein weiterer Projektverantwortlicher, dessen Namen auf Wunsch des BBR nicht erwähnt wird. Gemeinsam kennen diese drei wohl fast jede Antwort auf fast jede Frage.
Fragen wie diese:
• War das Versprechen, das Museum in nur fünf Jahren bis 2010 zu sanieren, jemals zu halten?
• Waren die Zahlen, die gesamte Insel innerhalb von zehn Jahren für zwei Milliarden Mark zu sanieren, jemals realistisch?
• Sollte man besser niemandem mehr glauben, der Zahlen zu Kosten und Dauer eines öffentlichen Sanierungsprojekts in Deutschland nennt?
Gern würde [Medium] die Antworten der Verantwortlichen auf diese Fragen zitieren. Aber was von der Behörde als Gespräch angekündigt war, wird vor Ort zu einem Hintergrundgespräch deklariert: Kein Satz, der dort gesagt wurde, darf nach diesen Regeln gedruckt werden. Was Barbara Große-Rohde angeht, so will das BBR im Nachgang auf Anfrage noch nicht einmal offenbaren, seit welchem Jahr sie für die Sanierung der Museumsinsel verantwortlich ist, ob 1997 oder 1998.
Und jetzt? Was ist das Fazit?
Klar ist: Das Projekt war von Anfang an schlecht geplant. Es war ein Fehler, das Museum immer teilweise geöffnet zu halten. Öffentlich wurden Dinge versprochen, von denen alle Beteiligten wussten oder hätten wissen müssen, dass sie unhaltbar waren.
Viel zu viele Leute reden mit, und keiner will die Verantwortung tragen. Das BBR leitet das Projekt zwar offiziell, hat aber einen Projektsteuerer beauftragt, der es angeblich steuert. Als 2016 die Kosten explodierten, kritisierten Vertreter der Kulturstaatsministerin intern das »Outsourcing« dieser Aufgabe. Schließlich bezahle man die Behörde dafür, dass sie Bauherrin sei. Das Bauamt antwortete, »dass für die Wahrnehmung der Projektsteuerungsleistungen kein Personal zur Verfügung steht, seit in erheblichen Maße Stellen beim BBR abgebaut wurden«.
Das Pergamonster ist eine Hydra: Sobald ein Problem gelöst ist, tauchen zwei andere auf. Die Verantwortlichen bewegen sich in einem Netz aus Vergaberecht, juristischen Fallstricken und einem Dutzend Beteiligten: Mal hat das Wasseramt Einwände wegen der Spree, mal braucht die Feuerwehr besseren Empfang für ihre Funkgeräte. Der Bezirk Mitte will eine Fußgängerzone einrichten? Das droht die Sanierung um bis zu drei Jahre zu verlängern. Und immer wieder werden die Verantwortlichen von neuen Vorschriften überholt: neue Brandschutzauflagen, aufwendigere Schadstoffentsorgung, Barrierefreiheit.
Auch die Beteiligten selbst haben immer noch weitere Ideen für die Sanierung: Kurz nachdem das Dach des ersten Bauabschnitts nach vielen Jahren endlich fertig war, fragte ein Museumsvertreter in einer Sitzung, ob man in den Glasdächern nicht Photovoltaikanlagen anbringen könnte. Als das Bauamt darauf hinwies, dass dafür die Glasdächer komplett ausgetauscht werden müssten, antworteten Vertreter des Bauministeriums und der Stiftung: Man solle prüfen, ob es nicht doch irgendwie machbar wäre.
Vergangenes Jahr entschied man außerdem, die Toiletten umzuplanen – weil die Stiftung nun geschlechtsneutrale Klos testen will. Das Ziel: Die »binäre Aufteilung in Damen- und Herren-WCs aufzubrechen«. Das kostet mehr als zwei Millionen Euro extra. Aber was sind schon zwei Millionen bei 1,5 Milliarden? Der Steuerzahler zahlt. Und wenn es teurer wird, beschließt man eben einen weiteren Nachtrag. Es geht schließlich um ein Stück Weltkulturerbe.
Die Pergamon-Sanierung ist in der letzten Phase angekommen, von der niemand weiß, wie lang sie dauern wird. Das Motto heißt jetzt: Weiterwursteln. Bis zur Neueröffnung, irgendwann.
»Aber das ist ja nicht die Ausnahme, sondern die Regel.« Das ist ein Satz, der immer wieder fällt, wenn man mit Beteiligten spricht. Es ist vielleicht die erschreckendste Erkenntnis dieser Recherche: Dass all das niemanden überrascht.
Die Verzögerungen, die Umplanungen, die Kostensteigerungen, die Kündigungen – keine Ausnahmen, sondern: So ist das nun mal. In diesem Sinne äußern sich Menschen, die an der Sanierung beteiligt waren oder sind. Und solche, die sich heute glücklich schätzen, dass sie einen Auftrag nie bekommen haben. Sogar das Bauamt selbst sagt es: Die Probleme, wie sie beim Pergamonmuseum bis heute auftreten, »bestehen derzeit bei fast allen großen Baumaßnahmen« – so schrieb die Behörde in einem internen Protokoll im Jahr 2016. Auf Anfrage teilt das Bauamt [Medium] mit, es sei »leider festzustellen, dass diese Problematik nach wie vor besteht«.
Wenn das kein Skandal ist, dann ist das ein Skandal.
Bildunterschriften
1 | Mauerwerk hinter der abgebauten Mschatta-Fassade
2 | Baumaterialien im Forum des Pergamonmuseums
3 | Abgehängter Pergamonaltar
4 | Marmorfries des Altars unter Plastikfolie
5 | Eingerüstetes Portal im hellenistischen Saal
6 | Sanierter Forumskeller mit gemauerten Stützen
Vorbereitung einer Statue für den Transport: Pläne teilweise im Maßstab eins zu eins
Visualisierung des sanierten Museums: »Das Risiko für einen weiteren Nachtrag ist hoch«