"Sorry"
von Simon Book und Kristina Gnirke
Der Spiegel vom 23.03.2024
Der Artikel erläutert, wie der gescheiterte Immobilieninvestor René Benko sein Imperium aufbaute und mit einer geschickten Mischung aus Luxusexzessen, Arbeitsmensch-Image, persönlicher Betreuung und Informationssteuerung eine Reihe europäischer Altinvestoren, Banken und Versicherungen hinters Licht führte. Benko habe sich ein prestigeträchtiges Investorennetzwerk mit dem Versprechen astronomischer Wertzuwächse aufgebaut und aufkommende Zweifel stets erfolgreich beschwichtigt, bis das Konstrukt durch die Polykrise 2022 in sich zusammenfiel.
Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt. Tabellen und Grafiken werden in einem separaten PDF zugänglich gemacht.
"Sorry"
So feiert auch ein Milliardär nicht alle Tage: Es ist der Frühsommer 2017. Man trifft sich in Sirmione, auf einer Halbinsel am Gardasee. Die Villa Ansaldi ist ein gehobenes Etablissement: ein Prunkbau mit Türmchen, allein die Dachterrasse misst laut Prospekt 55 Quadratmeter. Unweit des Pools ein Hubschrauberlandeplatz, in der anderen Ecke die eigene Marina für ein bis zwei Jachten, je nach Größe.
An diesem Tag pendeln Motorboote den See hinauf, zum Luxushotel Villa Eden, das wie die Villa Ansaldi zum Reich der Signa-Gruppe gehört. Rund 400 Gäste sind zum 40. Geburtstag von Unternehmensgründer René Benko angereist. Für besonders wichtige Damen und Herren steht der Heli bereit. Sebastian Kurz, damals österreichischer Außenminister, hält die Laudatio. Rocklegende Tina Turner wird gesichtet, Xavier Naidoo singt. Die Tanzfläche füllt dann ein Orchester: mit Abba-Medleys.
Es zappeln zur Musik: einige der vermögendsten Männer Europas. Sie sind Benko besonders wichtig.
Das Geburtstagskind, zu diesem Zeitpunkt bereits Immobilienkönig, Handelsmogul, Milliardär, hat Großes vor. Mal wieder. Will die taumelnden Kaufhausketten Karstadt und Kaufhof vereinen, Europas größten Warenhauskonzern schmieden – augenscheinlich, um an die lukrativen Innenstadtimmobilien zu kommen. Aber erst einmal erklärt Benkos Gemahlin Nathalie vor versammelter Mannschaft ihre Liebe, erinnert daran, wie sie ihn einst an einer Champagnerbar in Ischgl kennenlernte. »Zum Fremdschämen«, so erinnert sich einer der Gäste.
Dann kommt Benko. Eine Kampfrede habe er gehalten, gerufen, »wir werden siegen, wir werden gewinnen, wir werden uns Kaufhof holen«. Die Signa-Leute, berichten Anwesende, hätten Benko »wie einem Götzen« gehuldigt, gejohlt, geklatscht. »Ich dachte kurz, ich sei auf einer internen Werbeveranstaltung gelandet«, sagt einer.
Keine zwei Jahre später ist Benko am Ziel. Karstadt und Kaufhof fusionieren. [Anderes Medium] kürt Benko zum »Strategen des Jahres«. Er und seine Signa-Gruppe, so scheint es, sind nicht aufzuhalten.
Heute ist klar: Das Rad, das Benko drehte, war zu groß. Längst hatte er begonnen, Gelder von einer Ecke seines Reiches in eine andere zu schieben – vor allem gerade dorthin, wo Banken, Aufseher, Investoren Sicherheiten sehen wollten.
Viele derjenigen, die Benko vertrauten, ihm dreistellige Millionensummen überwiesen, sind Profis. Banker und Versicherungsvorstände setzten Kundengelder aufs Spiel, zum Teil unbesichert. Große Namen darunter: Allianz, Signal Iduna, R+V. Auch staatsnahe Institutionen wie die RAG-Stiftung, die Bayerische Versorgungskammer. Und selbst die Bundesregierung, die dem angeblichen Kaufhausretter in der Corona-Not rund 700 Millionen Euro an Hilfsgeldern zugestand, um seine Warenhauskette zu stabilisieren.
Benkos wichtigste Partner aber sind wohlhabende Unternehmer. Superreiche wie Hans-Peter Haselsteiner (Strabag-Bau), Ernst Tanner (Lindt-Schokolade) oder Arthur Eugster (Haushaltsgeräte).
Europas Geldadel investierte kräftig.
Roland Berger etwa, 86 Jahre alt, Gründer der gleichnamigen Unternehmensberatung, ist mit 1,6 und 1,8 Prozent an gleich zwei Signa-Gesellschaften beteiligt. Mindestens 50 Millionen Euro steckte er in Benkos Projekte.
Robert Peugeot, 73, Erbe des französischen Autokonzerns und mehr als fünf Milliarden Euro schwer, hält über die Familienholding 4,6 Prozent an der Prime, jener Unternehmenssparte, in der die Signa ihre »Trophy Assets« sammelt. Zudem 5 Prozent am Projektentwickler Development. Rund 300 Millionen Euro wurden insgesamt investiert.
Torsten Toeller, 57, der mit der Tierfutterkette Fressnapf zum Milliardär wurde, hält 4,5 Prozent an der Signa-Holding, der Muttergesellschaft in Benkos Reich. Rund 150 Millionen Euro stehen für ihn auf dem Spiel.
Und Klaus-Michael Kühne, 86, Mehrheitseigner des Logistikunternehmens Kühne + Nagel, Großaktionär bei Hapag-Lloyd, der Lufthansa sowie dem Chemiekonzern Brenntag und laut [anderem Medium II] der aktuell reichste Deutsche. 10 Prozent der Signa-Prime nennt er sein Eigen. Offene Rechnung: wohl rund 500 Millionen Euro.
Viele von ihnen haben in der Krise eilig versucht, ihre Anteile zurückzugeben. Erfolgreich war keiner. So müssen sie alle nun wohl einen Großteil abschreiben, womöglich alles. Weil sie Vertrauen über Kontrolle stellten, Zweifel fahren ließen – und Benko die Mär vom Geschäft ihres Lebens abnahmen.
Wie konnten sie so blind sein?
Seit dem vergangenen Oktober meldet ein Signa-Unternehmen nach dem anderen Insolvenz an. René Benko ist quasi abgetaucht, ein Konkursverfahren gegen ihn läuft. Es ist die größte Firmenpleite Österreichs, die bedeutendste Immobilienpleite Europas. Ein Heer von Insolvenzverwaltern versucht Geld zu finden, wo wohl keines mehr ist. Selbst Benkos Schreibtisch und das Klo-Inventar kamen schon unter den Hammer.
Ein Untersuchungsausschuss, Detektive und Staatsanwälte versuchen derweil, offene Fragen zu klären: unter anderem, wie Benko über eine ganze Dekade seine Finanziers hinters Licht führen konnte – mit aus dem Kontext gerissenen Zahlen, absurd hohen Bewertungen für seine Immobilien, dubiosen Managementgebühren, an den Investoren vorbei beliehenen Gebäuden. In München ermitteln sie gegen Verantwortliche der Signa wegen möglicher Geldwäsche, in Wien prüft die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht nach Anzeigen wegen Betrugs. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Benko selbst bleibt die Antworten auf einen umfangreichen Fragenkatalog [des Mediums] im Detail schuldig, verweist auf das laufende Insolvenzverfahren, die Sachverhalte würden dort aufgeklärt. Ein Anwalt teilt mit, viele Fragen beträfen die Privatsphäre, man dürfe hierüber nicht berichten. Zudem sei ein Großteil der den Fragen zugrunde liegenden Behauptungen nachweislich unwahr, eine Berichterstattung über die Vorwürfe von Investoren zu seinem angeblichen Verhalten sei ebenfalls unzulässig.
Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, einer der ersten Benko-Investoren, gehört zu den wenigen Aussteigern. Er erkannte früh Benkos »widersprüchliche Zahlen«. 2016 zog er die Reißleine, warnte: »Gier frisst Hirn.«
[Das Medium] hat Benkos engste und treuste Geldgeber getroffen. Viele sprechen zum ersten Mal über ihr Signa-Engagement. Manche reden offen. Andere fürchten um ihren Ruf, bestehen auf Anonymität. Legen stattdessen Dokumente vor, von sich und von anderen, E-Mails, SMS, Briefe, Tabellen, persönliche Notizen.
Einer sagt heute, er habe lediglich geahnt, nie gewusst. Ein anderer ist »unendlich enttäuscht von mir selbst«, gesteht, sein Anlageberater habe früh zum Ausstieg gedrängt, er aber habe ihn nie erhört. »Eine meiner größten Niederlagen.«
Es sind Männer, die allesamt einige Lebensjahre, viele Millionen und reiche Erfahrungen mit großen Deals gesammelt hatten. Und sich darauf etwas einbildeten.
Bis sie an Benko gerieten.
Das perfekte Milliardärsklischee
Wien, Anfang der Nullerjahre. Die beiden Immobilieninvestoren, die im Millennium Tower, mit 202 Metern dem damals höchsten Büroturm der Stadt, zusammensitzen, haben schon einiges gesehen. Aber so eine Show nötigt ihnen Respekt ab. Vor der Tür parkt ein junger Mann einen roten Ferrari, kommt im Versace-Dress herein und sagt: »Grüß euch. Was kostet der Turm? Ich kauf ihn.« Verdutzt der eine, amüsiert der andere.
»Der Typ hat Chuzpe«, denkt einer von ihnen. »Der Typ« heißt Benko.
Am Ende kommt es nicht zum Deal. Der Mittzwanziger hat nicht die Mittel, noch nicht. Aber Gelegenheiten wie diese sind Benkos Eintrittskarte in die Gesellschaft derer, die mit Gebäuden, Werten, Millionen jonglieren, dabei schwerreich geworden sind. Die den jungen Sohn eines Gemeindebediensteten und einer Kindergärtnerin, Schulabbrecher aus einem Arbeiterviertel in Innsbruck, fortan in ihre Runden aufnehmen.
Den Ferrari hat Benko von seinem Geschäftspartner und Mentor Johann Zittera geborgt. Wie Zittera in Innsbruck kauft Benko in Wien alte Dachgeschosse auf, baut sie aus, veräußert sie weiter – zu einem Vielfachen. Der Flitzer wird eine Dauerleihgabe. Statussymbole zählen, das scheint Benko in seiner Lehrzeit beim dubiosen Finanzvertrieb AWD gelernt zu haben. Gerade in Österreich. Gerade in der Immobilienwelt. Es geht ihm ganz offensichtlich um Augenhöhe.
»Das hat ihn in Verhandlungen stark gemacht«, sagt ein Weggefährte. Weil er keine Angst gehabt habe, sich an Sachen ranzuwagen, die absehbar zu groß für ihn waren. Benko habe losgelegt, wo andere gezaudert hätten. »Magenkrämpfe gab es nicht für ihn.«
Einer von Benkos ersten Kunden bringt ihm seinen ersten Millioneninvestor: Bei einer Wohnungsübergabe über den Dächern Wiens lernt Benko den Tankstellenerben Karl Kovarik kennen, an dessen Schwager er ein Penthouse verkauft. Kovarik ist so beeindruckt von dem jungen Mann, dass er ihm mit seinem Geld weit größere Deals ermöglicht. Und die Tür zu Bankvorständen öffnet. Als er verstanden habe, »dass es sich hier um einen vermögenden Österreicher gehandelt hat«, berichtete Benko später, sei er »natürlich sofort fokussiert gewesen, um dieses Feuer in Immobilieninvestments zu entfachen«.
Fortan greift Benko stets zum Teuersten, Besten, wenn es jemanden zu beeindrucken gilt. 2014 eröffnet sein Fünfsternehotel Park Hyatt in Wien, er holt Sterneköche in sein Chalet N am Arlberg, serviert edlen Rotwein aus Italien, auch mal zu 4000 Euro die Flasche. »Man trägt gern jemandem sein Geld nach, der ein Gewinnertyp ist«, sagt ein gewichtiger Immobilieninvestor. Benko habe sich »so eine Art Bruderschaft gebaut«.
Fake it, until you make it.
Benkos Büro liegt im noblen Palais Harrach, erster Wiener Bezirk, unweit der Hofburg. Die Berliner Repräsentanz: »Upper West«. Blick über den Zoo, den Ku’damm, die Gedächtniskirche. Der alte Berliner Westen, das alte Geld. Und Benko darüber, in einem Penthouse über zwei Etagen, rund acht Meter Raumhöhe. Weiße Marmortische, goldfarbig durchwirkter Boden, das riesige, runde Bett unter einem deckenhohen Baldachin – so berichten es Besucher. Manchem, der hier zu Besuch war, ist derartig »perverser Überschwang« unangenehm: »Sie glauben, Sie kämen zum ägyptischen Pharao.«
Wenn Benko potenzielle Investoren bezirzt, lädt er gern auf seine Jacht vor Nizza, Anreise per Heli oder mit dem Privatjet. Ist jemand passionierter Skifahrer, offeriert Benko das Chalet N, sein Privathotel in den Alpen, das nur auf Anfrage öffnet. »Dann gab es die geilsten Skilehrer, die schönsten Zimmer, den teuersten Wein«, sagt einer, dem dieses Vergnügen zuteilwurde.
Den Autobaron Robert Peugeot nimmt Benko mit zur Jagd in Tirol. Der schätzt das. Und investiert anschließend kräftig.
Benko habe die Gier der anderen erspürt, sagt ein enger Weggefährte. Was sie suchten, gab er ihnen. Und immer wieder stellte Benko seinen Gästen eine Frage: »Wer könnte daran noch Freude haben?« Übersetzt: Wen kann ich sonst noch ködern?
Zehn Jahre lang scheint alles zu klappen. Die Immobilien-Hausse hilft. Die Nullzinsen, das billige Geld. Benko formt daraus das perfekte Geschäftsmodell für die Boomjahre: mit geliehenem Kapital schöne Häuser in »unwiederbringlichen Lagen« (Benko) zu kaufen, renovieren, beleihen, damit neue Gebäude zu finanzieren – und seine Geldgeber zu beteiligen.
Seine Sammlung ikonischer Gebäude wächst. Das Chrysler Building in New York City, das Hotel Bauer in Venedig, das KaDeWe in Berlin, das Selfridges in London. Überall bescheinigen Gutachter exorbitante Miet- und Wertsteigerungen. Zu ihren besten Zeiten beziffert die Signa Prime ihr Vermögen an Luxusimmobilien auf mehr als 21 Milliarden Euro. Der angebliche Wertzuwachs ist astronomisch. Jährlich regnet es Geld in Form von Dividenden, zumindest anfangs. Wer will da zweifeln?
Es ist wie im Märchen: zu schön, um wahr zu sein.
Auch Benkos Alltag erinnert an Tausendundeine Nacht: Unter seinem Privathaus in Tirol, so berichten Gäste, befinde sich eine Grotte, mit einer Eingangstür, zweiflügelig und so schwer, dass sie nur von Motoren bewegt werden könne. Dahinter: der Nachbau der Grotte von Capri. Meterhohe Felsen, Poollandschaft, Tunnel, über allem ein illuminierter Himmel.
»Du denkst, du bist in Las Vegas«, erinnert sich einer. Ein anderer erzählt von einem Nachtklub in »St.-Moritz-Größe«. Der nächste weiß von der Tiefgarage, Platz für 30 bis 40 Schlitten, die sich mittels eines speziellen Lifts ins Foyer hochfahren lassen. Dort habe Benko dann empfangen, eingerahmt von zwei Ferraris.
Einigen Investoren ist das fast zu viel. Von Männern wie Peugeot, Toeller oder Tanner ist überliefert, dass sie selbst bescheiden reisen, nicht unbedingt Wert auf First Class legen. Typen seien das, die »keine dicke Welle machen«, wie jemand aus einem ihrer Family-Offices sagt, wo ihr Vermögen verwaltet wird.
Aber »dem jungen« Benko, sagt ein Investor, habe man das neureiche Gehabe gegönnt. Fleißig sei er gewesen, hungrig, übereifrig. »Riesenklappe. Aber super Deals und seine schnelle Auffassungsgabe.« Und manchmal eben etwas über das Ziel hinaus. »Wir haben das dem René nachgesehen. Er war ein guter Kerl, brillant, alles sah perfekt aus.«
Nur die eine oder andere Gattin traut dem Getue nicht. »Ein Aufschneider, ein unfassbarer Angeber«, habe seine Frau über Benko gesagt, erzählt ein Investor. Und das sei noch das Schmeichelhafteste gewesen. »Was willst du mit dem Buberl?« Benko könne was, habe er ihr geantwortet.
Diese Naivität wird ihn später Millionen kosten.
Die Mär vom ehrbaren Kaufmann
Die Prunkvilla am Gardasee, zwei Jahre nach der großen Party. Im Sommer 2019 schickt René Benko seinem Geldgeber Torsten Toeller den Helikopter zum Flughafen. Dem Fressnapf-Gründer, angekommen mit Eurowings, ist das unangenehm. Ein Auto hätte es auch getan. Doch ein Bänderriss lässt ihn Benkos Angebot akzeptieren. Toeller bedankt sich später in einer E-Mail für »das problemlose Abholen des ›Invaliden‹«.
Angereist ist er noch mit Wut im Bauch. Benko plant eine Kapitalerhöhung bei der Signa Holding. Doch Toeller, der dort fast fünf Prozent hält, will nicht noch mehr Geld einschießen. Er pocht laut Unterlagen darauf, dass Benko ihm versprochen habe, die Firma sei bestens finanziert, er brauche kein neues Kapital.
Wenn schon, dann müsse er einen vernünftigen Überblick über die Signa bekommen, bevor er neues Geld gebe, sagt Toeller. Er verlangt eine Gesamtbilanz für die Gruppe, will wissen, wie Benkos »private Sphäre« mitverdient, fordert eine Liste, die »sämtliche Kapitalgeber, Partner und Kapitalmarktberater« enthält. Auf der Gesellschaftersitzung zuvor hatte sich Toeller beklagt, dass wichtige Unterlagen zur Vorbereitung fehlten, Protokolle nicht erstellt würden, alles ablaufe wie in einem Start-up. Benko hatte damals alle Zweifel abgebügelt, Toeller ein Treffen am Gardasee angeboten – um in Ruhe zu sprechen.
In der Villa Ansaldi empfangen Benko und seine Adjutanten. Er verstehe Toellers Unmut, die Aufregung, sagt der Signa-Gründer. Aber Rom sei auch nicht an einem Tag erbaut worden. Es werde alles besser, die konsolidierte Bilanz komme. Man gibt sich die Hand. Damit ist für Toeller die Sache ausgemacht.
Er setze nicht auf umständliche Juristerei, sondern auf die Idee des »ehrbaren Kaufmanns«, sagt ein enger Freund über Toeller. Vertrauen, Bauchgefühl, persönlicher Eindruck. Das zählt bei Toeller – und bei den meisten anderen von Benkos Privatinvestoren. Ein Mann, ein Wort. So kennen sie das.
Benko nutzt das offenkundig aus.
Milliardär Toeller fliegt nach dem Treffen beruhigt nach Hause. Kurz darauf, am 14. August, schreibt er an Benko, per E-Mail und ohne Kommata: »Wir glauben an Dich René als Unternehmer«. Doch keinen Monat später lässt Benko ihn hängen: Es gebe für die Signa keine konsolidierte Bilanz, wie Toeller sie gefordert habe, lässt er in einem knappen Siebenzeiler wissen, datiert auf den 4. September. Es bleibt bei der Kapitalerhöhung. Toeller kann das nur schlucken.
Die Männer halten still, weil sie sich kennen. Logistikmilliardär Kühne etwa lässt bei seinem Benko-Einstieg ruhig schlafen, dass kurz zuvor Autodynast Peugeot investierte. Als Toeller einmal entnervt aussteigen will, hält ihn wiederum der Einstieg von Kühne.
Alle Investoren hätten hohe Achtung voreinander gehabt, seien »Respektspersonen. Leute, denen man die Handschlagmentalität abnimmt«, heißt es aus einem Family-Office. Benko habe nur zwei bis drei solcher Unternehmer gebraucht, sagt einer seiner engen Weggefährten, »der Rest kam fast automatisch«.
Als die Signa 2022 wankt, weil der Immobilienmarkt crasht, die Zinsen steigen, die Inflation anzieht, wachsen die Zweifel. Geldgeber vom Kaliber Kühne drohen Benko, ihr Geld abzuziehen. Nur der Altherren-Korpsgeist lässt sie zögern: »Unsere Sorge war, dass, wenn wir unsere Prozente rausnehmen, alles kippt«, sagt einer. »Wenn wir uns jetzt wegdrehen, dann ist das nicht gut, dann drehen sich auch Banken und andere Investoren weg. Das können wir nicht tun.«
So bleiben sie drin, hinterfragen kaum. Etwa ob und in welcher Höhe die Signa für viele von Benkos privaten Extravaganzen aufkommt, die Jacht, den Flieger, das Chalet, die Jagden, die allein mit mehreren Hunderttausend Euro zu Buche schlagen. Zweifel am Geschäftsmodell der Signa wollen sie lieber nicht hören.
Dabei habe es »gesundes Wachstum« bei Benko wohl schon lange nicht mehr gegeben, sagt einer der wichtigen Investoren heute. Stattdessen sei die wachsende Kluft zwischen Kosten und Einnahmen mit regelmäßigen Kapitalerhöhungen und Gebäudeverkäufen kaschiert worden. Das frische Geld, so sieht es heute aus, wurde oft direkt wieder ausgeschüttet. Die Investoren zahlten sich ihre Dividenden sozusagen selbst.
Irgendwie, sagt einer, »haben wir dann den Punkt verpasst, an dem die operativen Einnahmen nicht mehr in der Lage waren, die Kosten zu decken«.
Die Investoren stellen Benko nicht. Dafür ist so mancher offensichtlich zu verliebt in das Geschäft.
Eine intime Version der Wahrheit
»Lieber René«, schreibt der ehemalige Metro-Aufsichtsratschef Erwin Valentin Conradi am 14. Mai 2019 von seinem Wohnsitz in der Schweiz aus und bedankt sich für die zugesandten Geschäftsberichte. Durch die einzigartige »Sorgfalt, Perfektion und Liebe«, mit der sie aufgemacht seien, würden sie »ein spektakuläres Dokument einer unternehmerischen Arbeit, die ihresgleichen sucht«. Neben ihm sähen alle anderen schlecht aus.
»Dein Geschick als Unternehmer sprengt die Maßstäbe, selbst der Besten.« Benko, lobt Conradi, bewege sich »in einer eigenen Liga, die du selbst geschaffen hast«.
Nicht nur Benkos »wirtschaftlicher Erfolg« löse bei ihm Begeisterung aus. Sondern auch die »Kultur und Schönheit« der Immobilien. Der Hamburger Elbtower sei »ein so gelungenes architektonisches Kunstwerk«, das »dereinst mit Deinem Namen so verbunden sein wird wie der Eiffelturm mit Eiffel«. Benko sei ein Phänomen. »Ich zögere nicht zu sagen, dass ich Dich bewundere! Dein Valentin.«
Die millionen- und milliardenschweren Altinvestoren bei der Stange zu halten hat bei Benko offensichtlich viel mit Beziehungsarbeit zu tun. Und mit dem Image, das er sich gibt. Sein Ziel sei es, so hat er es einmal formuliert, in einer Generation das zu schaffen, »wofür andere einige Hundert Jahre gebraucht haben«.
Benko inszeniert sich als Schwerstarbeiter. Seine Geldgeber erzählen ehrfürchtig, wie Benko ab vier, fünf Uhr früh am Schreibtisch sitze, bis spät in die Nacht E-Mails, SMS versende, oft am Wochenende, aus dem Urlaub.
Für ihn sei Benko immer erreichbar gewesen, egal zu welcher Stunde, sagt einer der Investoren. »Er rief an, kam vorbei, nahm schnell den Flieger.« Ihm habe es das Gefühl gegeben, »Benkos wichtigster Ratgeber« zu sein. Ein anderer glaubte, der Einzige zu sein, der so gut gebrieft wurde, so komplett, so persönlich. »Jeder sollte glauben, er sei der Wichtigste«, sagt ein früherer Signa-Manager. Benko sei »wahnsinnig sympathisch« und »wahnsinnig skrupellos« zugleich vorgegangen.
Vor den Geldgebern macht Benko sich klein. Den Autodynasten Peugeot soll er gefragt haben, wie dieser die Dinge angegangen sei – damals, in seinem Alter. Das zieht offenbar. Peugeot sagt [dem Medium] noch 2022, er erkenne in Benko eine »Unternehmerpersönlichkeit, wie ich selbst eine bin«. Die Zweifel seines eigenen Sohnes an dem Investment, von denen die Redakteure gehört haben wollen? Humbug, infam. Sein Team habe die Signa »auf Herz und Nieren geprüft«. Das habe ihn alles sehr überzeugt.
Klaus-Michael Kühne imponiert vor allem der »Arbeitsmensch« Benko. Er wollte in ihm einen »Erfolgstyp und Kämpfer« sehen, »intelligent und hoch konzentriert«, auch »ein begnadetes Verkaufsgenie«, hat Kühne einmal [dem Medium] gesagt. Mit ihren Luxusjachten hatten sich die beiden seit 2019 mehrmals getroffen, bei Tapas und Cocktails in der Bucht vor Ibiza. Benkos Schiff und Beiboot waren größer als seines, bemerkte Kühne.
Erst im Herbst 2022 schwant Kühne, dass etwas nicht stimmt. Er trifft Benko in Kühnes Hamburger Hotel The Fontenay. Der Logistikmilliardär habe die lange versprochene Transparenz über die ganze Gruppe verlangt, sagt ein Insider, einen genauen Einblick in das Firmenkonstrukt. Und die für 2021 zugesagte Dividende. Benko habe abgewiegelt. Daraufhin habe es Kühne gereicht, er sei erbost aufgestanden und gegangen.
In solchen Fällen schreibt Benko gern unterwürfige Briefe. Wie jene E-Mail, die an einem Donnerstag um 0.02 Uhr im Postfach eines Investors landet. Grammatikunschärfen inklusive. Er sei froh, beginnt Benko, dass man sich »persönlich von Freund zu Freund austauschen« könne. Hoffe, »du siehst es mir nach, dass ich bei den beiden letzten Beiratssitzungen zu später Stunde nach ein paar Gläschen Rotwein mich unpassend über unsere aktuelle Situation und Dich als Person geäußert habe«. Er sei, fährt Benko fort, »einfach auch enttäuscht«, wie sich die Gesprächsbasis entwickelt habe. »Sorry.«
Freuen würde er sich, »wenn wir auch weiterhin eine Freundschaft pflegen können«. Er erinnere sich »gerne an die zahlreichen strategischen Gespräche mit Dir oft auch bis zur späten Stunde bei der einen oder anderen guten Zigarre« und wolle ihn bitte »mit einer Idee« anrufen. Wann es am besten passe?
Es ist offenbar der Versuch, eine fast schon intime Beziehung zu seinen Investoren aufzubauen. So kann Benko jedem Herren eine eigene Version der Wahrheit auftischen – jenes doppelte Spiel spielen, das die Milliardäre erst nach und nach entlarven und als »betrügerisch« empfinden.
Das doppelte Spiel
Kurz vor Weihnachten 2021 lädt Benko in seine Wiener Zentrale im Palais Harrach. Draußen fällt die Temperatur, drinnen heizt Benko ein. Zuvor hatte [das Medium] ihn erstmals mit Recherchen zu überhöhten Gebäudewerten, ausufernden Zinsausgaben, schwierigen Refinanzierungen konfrontiert. Benko will etwas ganz anderes glauben machen.
Die Folien hat er sich ausdrucken lassen, mehrere Dutzend Seiten. Sie sollen den Journalisten zeigen, wie gut es ihm und seiner Signa gehe. Dass nur er in der schwierigen Pandemielage imstande sei, immer noch exorbitante Mieten, einzigartige Verkaufspreise, unglaublich gute Bankkonditionen zu erzielen.
Aus einer Milliarde Verlust, von denen in internen Dokumenten die Rede ist, werden bei solchen Benko-Vorstellungen schon mal 90 Millionen Euro Gewinn. Aus Zinskosten, die kaum durch laufendes Geschäft gedeckt werden können, werden über Jahrzehnte abgesicherte Kredite. Zitieren soll man das alles nicht.
Benko will weismachen: Alles ist gut. Nur ist schon lange nichts mehr gut in Benkos Reich.
Bei seinen Geldgebern hat die Masche über Jahre funktioniert. Die Komplexität der Signa, das Geflecht aus mehr als 1000 Unterfirmen und Unter-Unterfirmen hilft Benko, die Lage stets besser darzustellen, als sie ist. Etwa wenn er mit der angeblich niedrigen Verschuldung der Signa bei seinen Geldgebern angibt. Unter 50 Prozent liege sie, so Benko. Keinesfalls bei jenen mehr als 60 Prozent, mit denen Banken laut internen Dokumenten immer wieder rechnen.
Wie schwer die Schulden drückten: »Das haben wir zu lange nicht gemerkt«, sagt einer, der sein Investment heute bereut. Benko habe »in all den Luxemburger Zwischenholdings« Schulden versteckt, so Kühnes Statthalter Karl Gernandt. Es habe dort »verschleiert weitere Verpflichtungen anderen Geldgebern gegenüber« gegeben, ohne Wissen der Investoren seien Unterfirmen beliehen worden, »sodass wir faktisch gar keinen Zugriff auf die Immobilien mehr hatten. Nur wussten wir das nicht«. Für ihn, sagt Gernandt, sei dies »letztlich betrügerisch«.
Um nicht aufzufliegen, musste Benko ganz offenbar scharf kontrollieren, welche Informationen sein Reich wann verließen und an wen. Eine Gedächtnisleistung, die strikte Disziplin forderte. E-Mails und Präsentationen habe der Chef immer selbst freigeben wollen. »Benko hatte wohl Sorge, enttarnt zu werden«, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. Er sei ein Genie darin gewesen, »strategisch perfekt platzierte Teilinformationen« zu streuen.
Über eine Dekade lassen sich so alle blenden. Mit der Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine, mit den im Anschluss steil steigenden Zinsen und den fallenden Immobilienpreisen aber hat Benko nicht gerechnet. Das Kartenhaus stürzt ein, Benko steht vor den Trümmern seines Lebenswerks.
Am 3. Mai 2023 notiert einer der reichen Investoren die dramatische Lage der Signa in einem Memo. Binnen wenigen Monaten hätten Banken insgesamt 500 Millionen Euro an zugesagten Krediten abgesagt. Geld, das unter anderem zur Finanzierung des Elbtowers hätte verwendet werden sollen. Weitere 400 Millionen Euro forderten die Verkäufer des Luxus-Shoppingcenters Selfridges aus ihrem Darlehen zurück. Und Dividende habe Benko seinen Investoren obendrein versprochen.
Benko, hält der Investor fest, sei es nicht gewohnt, »Krisen zu managen«, reagiere »emotional bis unlogisch«. Es brauche einen kühlen Kopf. Daran aber bestehen beim Investor offenbar Zweifel. »RBs« Zustand komme ihm »schlecht« vor, »verzweifelt, allein« wirke er auf ihn. »Und am Ende sind alle anderen schuld!«
Benko plane, so steht es in den Aufzeichnungen des Geldgebers, mit einer aufgeplusterten Kapitalerhöhung über 500 Millionen Euro, »entsprechend medial begleitet«, endlich »sämtliche Banken und Investoren, aber auch die Presse« zu beruhigen. In Wahrheit solle gar nicht so viel Bargeld einfließen, lediglich 100 Millionen Euro, der Rest Sacheinlagen, deren Wert künstlich aufgepumpt würde. Das löse zwar kaum die Finanzierungslücke, sehe aber gut aus, heißt es in der Notiz – und habe schon »bei den letzten Kapitalerhöhungen« funktioniert.
Benko äußert sich zu alldem nicht im Detail.
Am 24. Juli meldet [anderes Medium], exklusiv und »Unternehmenskreisen zufolge«, Benkos Signa-Gruppe habe sich rund 400 Millionen Euro frisches Eigenkapital gesichert. Das verschaffe der Holding finanziell Luft.
Tatsächlich kracht Benkos Konstrukt nur Monate später zusammen. Doch selbst jetzt, auf den letzten Metern, bleibt René Benko ein Hütchenspieler.
Im Herbst 2023 trifft er mit Kühne eine finale Vereinbarung, einen Ausstiegscoup. Der Milliardär will demnach seine Signa-Aktien in werthaltige Immobilien umwandeln, bevor alles in die Insolvenz rutscht und für ihn vielleicht verloren ist. Benko soll dafür Kühne die Hälfte seiner Anteile an der Signa-Prime abnehmen, im Gegenzug übernimmt Kühne von Benko das historische Schicklerhaus in Berlin-Mitte, welches Benko saniert, aufgestockt und zu »Beam« umgetauft hat, komplett.
Benko bekäme auf diese Weise dringend benötigtes frisches Geld. Kühne wäre einen schönen Teil seines Risikos los. Sie schlagen ein.
Doch als sich Kühnes Leute ihr frisch erworbenes, angeblich fertiggestelltes Gebäude in Berlin ansehen, stellen sie fest, dass noch Teile der Fassade fehlen, innen nicht jeder Aufzug funktioniert. Selbst bei den angeblich sicheren Mietverhältnissen kamen im Nachgang Zweifel auf. Und den vereinbarten Anteilskauf durch die Signa-Holding blieb Benko bis heute schuldig. »Benko«, sagt Kühnes Vermögensmanager Gernandt zerknirscht, »hat uns letztlich hinters Licht geführt.«
Kühne muss sich gefühlt haben wie Russlands Zarin Katharina die Große, der Fürst Potemkin 1787 auf einer Inspektionsreise durch ihr Reich die vermeintlich blühenden Dörfer auf der Krim gezeigt hatte: alles Attrappe, alles Lug und Trug.