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Haus. Schluss. Panik

von Simon Book und Henning Jauernig
Der Spiegel vom 18.06.2022

Gestiegene Nachfrage, Inflation und Zinswende machen den Erwerb von Immobilien durch gewöhnliche Erwerbsarbeit fast unmöglich und zwingen Jüngere mit Torschlusspanik zu waghalsigen Finanzierungen und dem Kauf von Problemimmobilien, während Reiche und wohlhabende Ältere mehrere Häuser als Anlage besitzen. Diesem spezifisch deutschen Gerechtigkeitsproblem stehen Lösungsansätze aus Politik (Steueranreize), Start-Ups und Genossenschaften gegenüber.

Sie sehen hier den reinen Text in der anonymisierten Form für die Jury. Bilder, Layout oder multimediale Umsetzung sind beim Deutschen Journalistenpreis kein Bewertungskriterium. Allein das Wort zählt.

Haus. Schluss. Panik

Das Ende eines Lebensplans sieht mitunter so aus: Der Saal 110 des Amtsgerichts Schöneberg, erster Stock, Dienstgebäude II in der Berliner Ringstraße. Das Gericht: ein monumentaler Bau aus der Jahrhundertwende, umgeben von ehrwürdigen Villen mit großen Anwesen. Um ein solches geht es auch bei der heutigen Zwangsversteigerung: Im Vorgarten der 140-Quadratmeter-Doppelhaus-Hälfte, gelegen in der Clayallee im noblen Berlin-Dahlem, stehen hohe Kiefern, es gibt eine Garage und einen zusätzlichen Parkplatz. Hinter dem Haus erstreckt sich ein weitläufiger Garten. Alles in allem misst das Grundstück 722 Quadratmeter. Zwar vermerkt der Gutachter die »erhöhte Verkehrslärmbelastung« durch die Straße. Dennoch habe das Haus laut »Bodenrichtwertklassifizierung« eine »sehr gute Wohnlage«. Schätzwert zum Zeitpunkt der Begutachtung 2020: rund 1,8 Millionen Euro.

Die früheren Eigentümer können die Immobilie nicht mehr halten. Mehrere Gläubiger hatten in den vergangenen Monaten vergebens versucht, an ihr Geld aus Hypotheken und Krediten zu kommen, mit denen das Haus belastet ist – und schließlich die Zwangsvollstreckung beantragt.

So sitzen sie nun also wie die Geier auf den Holzbänken im Saal 110: die Banker, Makler, Rechtsanwälte, Krisengewinnler, ausnahmslos Männer, die auf leichte Beute hoffen, auf ein Schnäppchen auf dem überhitzten Berliner Immobilienmarkt. Fressen und gefressen werden. Der Lauf der Dinge.

Um 10.45 Uhr eröffnet Rechtspflegerin Schneider die »Bieterstunde« und legt das Mindestgebot auf 1,2 Millionen Euro fest. »Wenigstens 30 Zeitminuten« werde sie nun Gebote entgegennehmen, formuliert sie in schönstem Behördendeutsch. Die Geier drehen die Köpfe, beobachten sich, manche tuscheln mit dem Sitznachbarn. Noch wagt sich niemand vor.

Um 11.10 Uhr dann tritt von links ein älterer Mann zur Richterbank, stellt sich als Doktor Gans vor, bietet 135.000 Euro – über Mindestgebot. 140.000 kommt es von einem Herrn auf der rechten Seite des Raumes. 142.000, schallt es von links zurück. 143 rechts. 144 links. 145 rechts. In Tausenderschritten fahren sie fort, ganz offensichtlich nicht bereit, auch nur einen Euro zu viel zu bezahlen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit werden die Intervalle größer, doch es bleibt ein Eiertanz. 840, 860, 880, 890 über Mindestgebot. Mehr als eine Stunde geht das so. Schließlich stehen mehr als zwei Millionen Euro im Raum, als die Gläubiger ihren Antrag auf Zwangsvollstreckung zurückziehen. Vorerst. In sechs Wochen können sie einen neuen Anlauf nehmen. Vielleicht sitzt das Geld bei den Geiern dann noch lockerer.

Die Szenerie ist merkwürdig kalt, fast herzlos. Dabei geht es hier eigentlich um etwas Emotionales, um ein Haus, ein Heim, mit einer Geschichte, mit Gartenfesten, Kindergeburtstagen, Weihnachtsessen. Um einen Ort für Herz und Seele.

Doch glaubt man ersten Erhebungen und Indikatoren, werden sich Szenen wie die in Saal 110 in den nächsten Monaten öfter abspielen im ganzen Land, wird der Traum vom Eigenheim zurückgebaut, Fall für Fall, Stein für Stein. Nie waren die Immobilienpreise höher als heute. Das ist inzwischen allgemein bekannt. Neu ist, dass nun auch alles andere, was vorher billig war und den Eigenheimkauf halbwegs erschwinglich gehalten hat, gerade teuer wird: Kredite, Baustoffe, Handwerker. Anschluss- und Neufinanzierungen werden so für immer mehr Menschen zum Problem oder gleich zur Utopie.

Die Folge: Die Zahl der Zwangsversteigerungen dürfte zunehmen. Genaue Daten wird es aufgrund der langen Verfahrensdauer erst in einigen Monaten geben. Sie würden sich aber »deutlich verändern«, prognostiziert Walter Ruesch, Geschäftsführer der Argetra GmbH, die deutschlandweit die Statistik erhebt. Er sieht einen Zusammenhang zwischen Zinswende und Zwangsvollstreckungen.

Auch auf der anderen Seite, beim Kauf, gerät etwas ins Rutschen. Nach internen Erhebungen eines großen deutschen Maklerportals platzt momentan fast ein Drittel der Finanzierungen kurz vor der Unterschrift, weil die Banken die aus dem Ruder gelaufenen Eigentumspreise in ihren Bewertungssystemen nicht mehr abbilden können und auf mehr Eigenkapital pochen. Hinzu kommt, dass immer mehr Käuferinnen und Käufer in letzter Minute abspringen, weil sie sich die Finanzierung durch die wöchentlich kletternden Zinsen nicht mehr leisten können, heißt es von den beurkundenden Stellen. »Zuletzt haben sich die Fallzahlen verdoppelt«, sagt der Hamburger Notar Jan Hupka.

Vier Gründe, warum sich kaum einer mehr Immobilien leisten kann

Es ist wie bei einem Tischtuch, an dessen vier Ecken gleichzeitig gezogen wird. Ecke eins: die Kaufpreise. Weil der Immobilienmarkt seit mehr als zehn Jahren boomt, haben die Preise von Häusern und Wohnungen astronomische Höhen erreicht. Selbst die Coronapandemie hat den Trend nicht gebrochen. Im Gegenteil: Die Shutdown-Erfahrungen haben bei vielen Menschen den Wunsch nach einem Häuschen mit Garten noch verstärkt. 2021 sind deutsche Wohnimmobilien im Schnitt um elf Prozent teurer geworden.

Die Postbank hat für ihren Immobilienatlas gerade errechnet, dass die Preise bis 2035 in fast der Hälfte aller deutschen Landkreise weiter steigen werden. Besonders starke Zuwächse erwarten die Experten für Süddeutschland, Hamburg, Berlin und das Weser-Ems-Gebiet. In der Mitte der Republik dürften sie auf hohem Niveau stagnieren, ebenso in Jena, Leipzig, Erfurt oder Potsdam. Die Deutsche Bank sieht eine fortgesetzte Hausse in Metropolen wie Berlin, Frankfurt oder Stuttgart.

Es folgen die Baustoffe, Tischtuch, Ecke zwei. Laut dem Statistischen Bundesamt stiegen ihre Preise 2021 so stark wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Konstruktionsvollholz: plus 77 Prozent. Betonstahl: 53 Prozent mehr. Kupfer: 27 Prozent rauf. Bitumen: 36 Prozent. Epoxidharz, verwendet etwa in Farben oder Lacken: plus 29 Prozent. Zusammengenommen, so die Statistiker, habe der Neubau eines Hauses im vergangenen Jahr neun Prozent mehr gekostet als noch 2020. Und auf sinkende Preise, so Reinhard Quast, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, müssten Bauherren »noch eine Weile warten«. Höherer Mindestlohn, höhere Inflation – all das treibe die Preise eher weiter an.

Zumal Bauen und Sanieren ohnehin teurer, weil hochwertiger werden muss, um den Kampf gegen die Erderwärmung aufzunehmen, Ecke drei. Bis Ende des Jahrzehnts muss ein großer Teil der 10,5 Millionen Gas- und sechs Millionen Ölkessel im Land saniert werden. Um sich bis 2033 mindestens zu Energie-Effizienz-Level E hochzuarbeiten, was für das Erreichen der Klimaziele unerlässlich ist, werden Investitionen von mindestens 175 Milliarden Euro fällig, rechnet die Unternehmensberatung BCG vor.

Da ist die Explosion der Kreditzinsen geradezu kontraproduktiv, Ecke vier der Tischdecke. Nach mehr als zehn Jahren mit Niedrigstkonditionen dreht der Markt in einem rasanten Tempo. Seit Jahresanfang haben sich die Bauzinsen etwa verdreifacht. Solch einen Anstieg binnen wenigen Monaten haben die Statistiker hierzulande noch nie gemessen.

Das Tempo überrascht selbst gestandene Experten. Mirjam Mohr etwa, die für den Kreditvermittler Interhyp seit vielen Jahren das Privatkundengeschäft leitet. Weil Banken und Finanzmärkte seit Längerem erwarten, dass die Notenbanken sich von der ultralockeren Geldpolitik der vergangenen Jahre verabschieden, preschten im Gleichlauf mit den Bundesanleihen bereits die Bauzinsen in die Höhe. »Wie schnell das am Markt ankam, haben wir nicht kommen sehen«, sagt Mohr.

Am Donnerstag voriger Woche verkündete die Europäische Zentralbank (EZB), noch im Juli zum ersten Mal seit elf Jahren die Leitzinsen zu erhöhen. 0,25 Prozentpunkte. Doch das soll erst der Anfang sein. Die Zeiten, in denen billiges Geld von den Banken die hohen Kaufpreise erträglich machte, scheinen damit auf absehbare Zeit vorbei. Die Folge: Neue Käufer und all jene, die demnächst umschulden müssen, stecken in der Zinsfalle – mit dramatischen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft.

So wird das Wohnen in den eigenen vier Wänden selbst für Gutverdiener immer mehr zum Luxus. 65 Prozent der Immobilieninteressenten hierzulande bezeichnen die Preise inzwischen als »abschreckend«. Gut die Hälfte der Befragten, die in den kommenden ein bis zwei Jahren eine Immobilie kaufen möchten, gaben an, dass das in ihrer Wunschregion »kaum« bis »gar nicht« mehr leistbar sei. Knapp ein Drittel hat den Kauf verschoben oder hinausgezögert, sieben Prozent haben ihren Traum ganz aufgegeben.

Allein mit dem Verdienst aus gewöhnlicher Erwerbsarbeit ließen sich Immobilien in vielen Städten nicht mehr bezahlen, sagt Jens Rautenberg, Geschäftsführer der Analysefirma Conversio Wahre Werte. Da müsse das Einkommen schon sehr hoch sein oder durch ein Erbe aufgestockt. Für alle anderen bleibe eine eigene Immobilie »auf ewig illusorisch«.

Eigenheimbesitzer – die neue Elite

Das Tischtuch, so scheint es, hielt diesem Druck nicht stand. Es ist zerrissen. Nur wie geht eine Gesellschaft damit um? Muss man eine solche Entwicklung als unausweichlich akzeptieren? Oder braucht es eine ernstzunehmende Initiative der Politik, einen »Paradigmenwechsel«, wie Jens Beckert vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln fordert, um schnellstmöglich gegenzusteuern?

Der Staat, sagt Beckert, müsse erkennen, »dass Wohnen ein Bereich ist, der nicht einfach dem Markt überlassen werden kann«. Ein existenzielles Gut, nicht vergleichbar mit Auto oder Urlaub. Es brauche dringend »einen stärkeren staatlichen Einsatz« beim Erwerb von Eigentum. Ansonsten wachse der »Frust« in immer größeren Teilen der Bevölkerung, die sich um ihren verdienten Anteil am erarbeiteten Wohlstand betrogen fühlen. Das könne sich eine soziale Marktwirtschaft wie die deutsche schlicht »nicht leisten«.

Wie dramatisch die gestiegenen Zinsen die Baufinanzierungen verteuern, zeigen Berechnungen des Portals Immowelt. Wer etwa eine 80-Quadratmeter-Wohnung in München für 766.000 Euro auf Kredit erwirbt und jährlich zwei Prozent des Kaufpreises tilgt, zahlte im Januar dafür noch 2050 Euro im Monat. Zinssatz, festgelegt auf zehn Jahre: 1,38 Prozent.

Inzwischen liegt dieser Wert bei 3,05 – was die monatliche Belastung um mehr als tausend Euro erhöht. Auch für Käufer in Hamburg oder Frankfurt rechnen die Experten mit drastischen Mehrkosten, im Schnitt rund 700 Euro mehr pro Monat.

Je höher aber die Zinsen, desto höher auch die Last über die gesamte Laufzeit des Kredits. Interessenten zahlen so ihr Eigentum bis zur vollständigen Tilgung über die Jahre mitunter gleich mehrfach ab. Die wenigsten dürften diesen Spielraum haben. Schon heute sind viele Finanzierungen auf Kante genäht.

Manuel David ist so ein Fall. Dabei könnte seine Ausgangslage für den Immobilienkauf kaum besser sein: Als Referent bei der Verbraucherzentrale verdient der 34-Jährige ein ordentliches Gehalt, seine Frau ist Grundschullehrerin im Vorbereitungsdienst. David hat das seltene Glück, vorzeitig Baugrund geerbt zu haben, im Düsseldorfer Garten seiner Eltern.

An einem sonnigen Tag im Mai läuft David über das Grundstück im Südwesten der Stadt, zeigt, wie er und seine Frau sich ihren Wohntraum ausgemalt haben. Die Parzelle ist zwar schmal, aber eine 120 Quadratmeter große Doppelhaushälfte würde passen. Hinten wäre sogar noch Platz für die Hühnerställe und verwilderten Blumenbeete seiner Eltern. »Schöner kann man nicht wohnen«, sagt David, während er die fertigen Baupläne auf einem Tisch vor sich ausbreitet. Der Neubau aus Holz sollte rund 500.000 Euro kosten. Finanzieren wollte ihn das junge Paar per Kredit.

Im Januar war das noch günstig, die monatliche Rate von 1579 Euro hätten die beiden gut stemmen können. Die Terrasse der Eltern haben sie schon abgerissen und Teile des Grundstücks gerodet. Für den Architekten und weitere Planungsleistungen zahlten sie rund 20.000 Euro.

Doch weil die Baugenehmigung noch immer nicht da ist, müssen die Davids von Monat zu Monat dabei zusehen, wie die Zinsen ihnen davonlaufen. Die Kreditrate für das Ehepaar mit seinen beiden Kindern hat sich inzwischen auf mehr als 2000 Euro erhöht. Das sei nur noch machbar, »wenn wir uns stark einschränken«, sagt David. Eigentlich kaum zu verantworten, schließlich nähme man sich so jeglichen Spielraum für die Zukunft. David fürchtet, dass ihr Projekt schon bald »nicht mehr finanzierbar« sei. Obwohl sie ein Grundstück geschenkt bekommen hätten, schafften sie es nicht in die eigenen vier Wände. »Wahnsinn.«

Wenn es schon für David und seine Frau so schwierig ist mit dem Eigentum, wie unerreichbar wird es dann für all jene, die kein Erbe zu erwarten haben?

Wilk Mroß darf sich eigentlich zu keiner Bewertung hinreißen lassen. Er ist schließlich Beamter. Vorsitzender des Gutachterausschusses für den Landkreis Potsdam-Mittelmark. Irgendwann an diesem Vormittag reizt es ihn dann doch: Irre, das alles, rutscht es ihm heraus.

Mroß steht in einem mausgrauen Raum im achten Stock der Kreisverwaltung und hat den Beamer angeworfen. Vorzustellen ist der neueste Grundstücksmarktbericht für seinen Kreis, in dem Mroß alle Immobilien und Landkäufe des vergangenen Jahres zusammengetragen hat. Potsdam-Mittelmark erstreckt sich zwischen der Berliner Stadtgrenze im Nordosten und Bad Belzig, tief im brandenburgischen Westen. 218.000 Einwohner auf 2600 Quadratkilometern.

Einer der größten Landkreise Deutschlands – und ein immer beliebterer. »In allen Bereichen ist der Markt ansteigend«, berichtet Mroß. Häuser, Wohnungen und Grundstücke für mehr als eine Milliarde Euro seien im vergangenen Jahr hier verkauft worden, »eine Zunahme von 40 Prozent«! Der Mann hat sich warmgeredet, die gestreifte Krawatte tänzelt vor seinem runden Bauch. Nie seien mehr Objekte umgesetzt worden, nie seien die Summen höher gewesen, nie die Fläche größer. »Rekord reiht sich an Rekord«, ruft Mroß.

Keiner davon ist wirklich erfreulich. Denn Potsdam-Mittelmark wird teuer. Sehr teuer sogar. Für ein frei stehendes Einfamilienhaus in der brandenburgischen Pampa, in Werder, Schwielowsee, Michendorf oder Stahnsdorf, legten Käufer im vergangenen Jahr im Schnitt fast eine Million Euro hin. Nach dem Berliner Speckgürtel würde der »erweiterte Metropolenraum« von den Hauptstädtern erobert. In Potsdam-Mittelmark könne man inzwischen »Kapitalismus in seiner reinsten Form« besichtigen, sagt Mroß. Einer, der die lokale Bevölkerung aus dem Markt dränge. Irgendwann, sagt Mroß, »wohnen hier nur noch Leute, die sich Häuser für eine Million Euro leisten können«.

Das geht schneller als gedacht. Die Verkäufer in einem Musterhauspark bei Hannover können davon berichten. An einem Sonntag vor einigen Wochen haben trotz guten Wetters gerade einmal 78 Besucher den Weg hierher gefunden. Früher kamen doppelt so viele. Gelangweilt sitzen die Berater in den menschenleeren, mit Möbeln vollgestellten Kulissen und trinken Kaffee. Seit Jahresanfang habe sich sein Geschäft »stark eingetrübt«, sagt einer, quasi halbiert. Das gestiegene Zinsniveau mache sich da »eindeutig bemerkbar«, klagt er. »Bei uns im Park herrscht Totentanz.«

Sein Kollege Ehrhard Kühne, der in einem Nachbarhaus auf Kundschaft wartet, ist nicht ganz so pessimistisch. Ja, die Mittelschicht halte sich zurück. Dafür komme eine neue Klientel. Ältere, die bereits ihr drittes oder viertes Haus planen. Nicht für sich selbst, sondern als Kapitalanlage. »Manche bezahlen ihr Haus komplett bar«, sagt Kühne. Die wüssten offenbar nicht, »wohin sonst mit ihrem Geld«.

Diese kleine, aber feine Kundschaft will er mit der »Selection245« beglücken. Eine Modellreihe von Fertighäusern, die Kühne als »die AMGs unter den schlüsselfertigen Objekten« bezeichnet. Unter dem Gründach finden sich auf 245 Quadratmeter Wohnfläche ein Fitnessraum, hochmoderne Arbeitsplätze und die allerneueste Smarthome-Technik. Carport sowie Outdoorküche gehören natürlich ebenfalls dazu. Preis für die Vollausstattung: eine gute Million.

Im Schwarzwald hat die Firma jüngst ein Einfamilienhaus mit Glasfahrstuhl gebaut. Früher wäre man deshalb »für verrückt erklärt« worden, sagt Kühne. Heute lasse sich so etwas gut verkaufen, »die Objekte wurden uns aus den Händen gerissen«. Nur eben nicht von jungen Erstkäufern, sondern wohlhabenden Senioren – von denen es immer mehr gibt im Land. Kurzfristig, sagt Kühne, sorge er sich deshalb nicht ums Geschäft. Allein im vergangenen Jahr wuchs der Umsatz von Schwabenhaus um 47 Prozent.

Wie die Zinsen die Lunte zu gesellschaftlichem Sprengstoff legen

Max-Planck-Forscher Beckert hält für diese Entwicklung einen soziologischen Begriff parat: »politische Salienz«, das Herausstechen eines Reizthemas. Wohnungsfragen seien mittlerweile »gesellschaftlicher Sprengstoff«, selbst die obere Mittelschicht werde »rausgepreist«.

Die Gerechtigkeitsfrage stellt sich gleich mehrfach. Was macht das mit Leuten, wenn Arbeit und Fleiß nicht mehr reichen, um ihre Lebensleistung mit einem eigenen Haus zu krönen? Warum sind die Reichen und Superreichen zuletzt noch reicher geworden – während die Inflation den anderen das Eigenkapital weggefressen hat? Und was zum Teufel erzählt man eigentlich den Jungen, deren Wohlstandsperspektiven sich zunehmend aus dem zu erwarteten Erbe speisen?

Schaffe, schaffe, Häusle baue? Hahaha.

Verschärfend kommt hinzu, dass es sich bei der Immobilienfrage um eine speziell deutsche Misere handelt. In allen anderen EU-Ländern ist die Eigenheimquote höher. Das liegt laut Bundesbank hauptsächlich an der »hohen Grunderwerbsteuer« hierzulande und der fehlenden Möglichkeit, Zinsen für selbst genutzte Immobilien abzuschreiben. Beides ist anderswo besser geregelt.

Während es in der EU also erwünscht ist und steuerlich gefördert wird, wenn Menschen sich Eigentum zum Eigennutz anschaffen, gilt in Deutschland nach wie vor das Recht des ökonomisch Stärkeren, genannt: Markt.

Die Menschen spürten diesen Druck, sagt Soziologe Beckert. Wenn der Staat seit Jahren immer mehr Risiken auf den Einzelnen abwälze, erzeuge das paradoxerweise eine immer größere Begierde nach der eigenen Immobilie: Mit dem Eigenheim wollten sich die Menschen vom Markt abkoppeln. Sie suchten »Sicherheit in einer unsicherer werdenden Umwelt«. Um fast jeden Preis. »Die Nachfrage steigt parallel zum Level der Verzweiflung.«

Im Schnitt nehmen Immobilienkäufer hierzulande 319.000 Euro Kredit auf. Das zeigen Zahlen des Immobilienfinanzierers Dr. Klein. Rekord. Vor fünf Jahren lag die durchschnittliche Darlehenssumme noch bei 200.000 Euro.

Und die Rückzahlung dauert deutlich länger als früher: Viele schließen geringere Tilgungsraten ab, um den Zinsanstieg auszugleichen. Nur so können sie die monatlichen Raten überhaupt stemmen. Heißt aber auch: Das Risiko wird in die Zukunft verschoben. Für diejenigen, die ihre Finanzierung auf Kante genäht haben, kann die Restschuld dann zu einem existenziellen Problem werden.

Dass die Inflation die Schulden entwertet, ist da nur ein kleiner Trost. Und zieht als Argument auch nur, wenn die Löhne angehoben werden und die Kaufkraft gleich bleibt.

Heike Hildebrand jedenfalls stellt bei Ihren Kunden eine gewisse »Torschlusspanik« fest. Die Finanzberaterin kümmert sich bei der Ludwigsburger Immobilienfirma Pflugfelder um eine eher gut betuchte Klientel, ihre Daimlers und Porsches, wie sie sie liebevoll nennt: Doppelverdienerhaushalte mit guten Industriegehältern, die im Stuttgarter Umland Eigentum suchen oder besitzen. Wenn Gespräche mit Bestandskunden anstehen, die ein Anschlussdarlehen benötigen, bereitet ihr das regelrecht Bauchschmerzen. Kaum jemand, sagt sie, habe zu Beginn der Niedrigzinsphase etwas von Risikoabsicherung hören wollen, alle hätten nur auf die Zinsen geschaut, seien vor längeren Laufzeiten zurückgeschreckt. Das Gefühl der Zeit: »Mit jedem Tag wird es noch günstiger«.

Das rächt sich jetzt. Aus der Not heraus entschieden sich heute viele wieder für kurze Laufzeiten oder eine geringe Tilgung. Davon könne sie nur abraten. Ob und wann die Zinsen wieder sinken, kann derzeit schließlich niemand seriös voraussagen. Im Gegenteil: Max Herbst von der FMH-Finanzberatung sagt, im April habe er vier Prozent Zinsen für zehnjährige Finanzierungen allenfalls bis Jahresende vorstellbar gehalten. Das sei nun »bereits nach der Sommerpause« denkbar. Und auch für die Jahre danach ist wohl kaum mit Entspannung zu rechnen. Leitzinsen und Inflation ziehen ja weiter an.

So mancher, für den die Kalkulation nicht mehr aufgeht, versucht es dann mit Abstrichen. Bei Lage, bei Ausstattung, beim Zustand. Und so finden derzeit sogar Schrottimmobilien Abnehmer – zu absurden Preisen.

Kamil Platzek, Immobiliensachverständiger aus dem baden-württembergischen Balingen muss Kaufinteressenten neuerdings davor bewahren, sich bewusst zu ruinieren. Kürzlich wollte ein junges Paar ein in die Jahre gekommenes Einfamilienhaus im Landkreis Sigmaringen erwerben. Der Verkäufer wollte 335.000 Euro haben. Klang nach Schnäppchen.

Bei der Begehung fand Platzek das »pure Grauen« vor. Der Eigentümer habe alles in Eigenregie modernisiert, im Keller gab es »immense Feuchteschäden«, an den Außenwänden fehlten nötige Abdichtungen, unterm Dach die Dämmungen, sagt Platzek. Im Angebot fehlte dazu jeder Hinweis, »grob fahrlässig« sei das. Am Ende schätzte Platzek das Haus auf 162.000 Euro. Seine Kunden machten einen Rückzieher, gerade noch rechtzeitig.

Es gebe derzeit eine »Flut von Problemimmobilien«, sagt der Gutachter. Manche Offerten machten ihn schlicht fassungslos. Gekauft würde trotzdem. Die Leute seien »getrieben und haben Angst, dass sie sonst gar nicht mehr zum Zug kommen«.

Windigen Maklern öffnet das große Spielräume. Kürzlich etwa besichtigte Platzek eine Immobilie, deren Räume im Dachgeschoss laut Anzeige mit in die Wohnfläche einberechnet waren. Das Problem: Der Ausbau war von den Ämtern gar nicht genehmigt worden. Zu niedrige Decken. Als Platzek die Maklerin darauf hinwies, habe die nur lapidar entgegnet, unterm Dach selbst gar nicht gewesen zu sein. Sie habe sich auf die Angaben des Eigentümers verlassen.

Also doch besser abwarten, weiter Eigenkapital ansparen – und zuschlagen, wenn die Preise fallen. Die Bundesregierung hat schließlich versprochen gegenzusteuern.

Steuererleichterungen, Leasing, neue Dorfgenossenschaften – was jetzt noch helfen könnte

In der Baubranche glaubt kaum noch jemand, dass sich das von der neuen Bundesregierung ausgerufene Ziel von 400.000 neuen Wohneinheiten pro Jahr umsetzen lässt. Durch gestiegene Baustoffpreise, Lieferengpässe und Rohstoffknappheit kommt es laut Spitzenverband der Wohnungswirtschaft (GdW) überall zu Verzögerungen. Neue Projekte würden kaum mehr angeschoben, es fehle an Planungssicherheit.

Vor »katastrophalen Folgen für die kommenden Jahre« warnt GdW-Präsident Axel Gedaschko. Er befürchtet, dass dann noch weniger gebaut werde. Schon 2021 waren die Zahlen drastisch eingebrochen – auf rund 293.000 Wohnungen.

Effektiver wäre es wohl, die Politik würde über eine Reform der Eigenheimförderung nachdenken. Nach dem gescheiterten Baukindergeld, das die Immobilienpreise weiter in die Höhe trieb, arbeitet Bauministerin Klara Geywitz (SPD) tatsächlich an einer Reform. Den Bau von Einfamilienhäusern hatte sie zuletzt als »ökonomisch und ökologisch unsinnig« bezeichnet. Sie setzt stattdessen auf den Ansatz »Jung kauft Alt« und will dazu Anreize für den Kauf von Bestandsgebäuden im ländlichen Raum schaffen.

Auch soll mehr Menschen ermöglicht werden, in Genossenschaftswohnungen zu leben. Dazu will Geywitz das KfW-Kreditprogramm für den Kauf von deren Anteilen verdoppeln. Künftig sollen bis zu 100.000 Euro dafür aufgenommen werden können und der Bund einen Tilgungszuschuss in Höhe von 15 Prozent leisten.

Der größte Hebel ist indes die Grunderwerbsteuer. Seit die Länder 2006 die Höhe dieser Steuer festlegen dürfen, sind die Sätze explodiert. 6,5 Prozent des Kaufpreises werden mancherorts fällig. Finanzminister Christian Lindner überlegt daher, es den Ländern zu ermöglichen, beim Ersterwerb von selbst genutztem Wohneigentum Freibeträge einzuführen. Der Union schwebt pro Erwachsenem ein Freibetrag von 250.000 Euro und je Kind von 150.000 Euro vor. Eine vierköpfige Familie müsste dann unter Umständen gar keine Grunderwerbsteuer mehr zahlen.

Ob die Bundesländer da mitziehen? Sie sind auf die Einnahmen angewiesen. 18,3 Milliarden Euro brachte die Steuer 2021 ein. Hamburg hebt seinen Satz ab 2023 gar von 4,5 auf 5,5 Prozent an.

Schnellere Linderung bringen da wohl eher neue Eigentums- und Wohnkonzepte. Ideen wie die von Nils Kohle etwa. Der Gründer des Leasing-Start-ups Ownr steht an einem frühen Morgen in Neu Wulmstorf bei Hamburg vor einem Reihenmittelhaus, das er erwerben will. Kohle, vorher beim Luxusmakler Engel & Völkers tätig, hat einen Blick für die Details. Ihm gefällt, »dass die Mülltonnen in der Reihenfolge ihrer Hausnummern an der Straße stehen«. Ein Hinweis, dass sich die Eigentümergemeinschaft gut um das Objekt kümmere. 429.000 Euro werden für die 97 Quadratmeter aufgerufen.

Der Unternehmer erwirbt Objekte wie dieses nicht zum Eigennutz. Ownr verleast sie weiter an Kunden, die sich einen Kauf nicht leisten können. Sie zahlen eine Leasingrate, etwas über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Nach anderthalb bis vier Jahren Probewohnen können sie entscheiden, ob sie ausziehen, weitermieten – oder die Immobilie kaufen. Den späteren Verkaufspreis legen die Parteien schon bei Vertragsschluss fest. Das Start-up rechnet mit einer durchschnittlichen Preissteigerungsrate von 3,5 Prozent pro Jahr – etwa halb so viel wie in den vergangenen fünf Jahren. Vom Kaufpreis werden 10 Prozent der gezahlten Leasingraten abgezogen. Auch wenn Ownr so für mehr Flexibilität sorgt – günstiger als ein Kauf ist es nicht.

Für Kohle und sein Geschäftsmodell sind die steigenden Zinsen ein Segen. Immer mehr Menschen könnten sich eine eigene Finanzierung »nicht mehr leisten«, sagt er. Seit Anfang des Jahres habe sich die Anzahl der Anfragen mehr als verdoppelt. Eine Regionalbank stellte Kohle kürzlich bis zu 160 Millionen Euro zur Verfügung, um auf Einkaufstour zu gehen.

Der Gründer behauptet, mit seinem Modell Tausende zu Eigenheimbesitzern zu machen, die sonst keine Chance hätten. Weil er seinen Kunden Zeit verschaffe, »um weiteres Eigenkapital anzusparen«. Und weil die Banken es goutierten, wenn jemand quasi sein eigenes Haus kaufe. Leasingnehmer, die zu Käufern würden, könnten dem Gründer zufolge einen halben Prozentpunkt bei den Zinsen sparen.

Eher idealistisch versucht Frederik Fischer die Wohneigentumsnot zu lösen: mit seinen KoDörfern. Eines davon entsteht gerade im brandenburgischen Wiesenburg. Eine Stunde und zehn Minuten mit dem Regionalexpress vom Berliner Hauptbahnhof entfernt findet sich direkt gegenüber des kleinen Bahnhofsgebäudes eine Idylle für Großstadtflüchtlinge.

Fischer biegt einen Zaun herunter, drückt einen Busch beiseite, geht durch eine kleine Schonung und steht vor einem riesigen, überwucherten Backsteinbau. Auf dem Gelände des alten Sägewerks will der Unternehmer 40 Häuser entstehen lassen, keines davon größer als 80 Quadratmeter, mit genügend Platz für rund 100 Menschen. Junge, Alte, Manager, Handwerker, die ihre Idee der eigenen vier Wände beerdigen und eintauschen gegen Anteile an einer neu gegründeten Genossenschaft. Die auf ein eigenes Wohnzimmer verzichten, lieber Genossenschaftsanteile kaufen und dafür einen 700 Quadratmeter großen Gemeinschaftsraum mit Küche, Co-Working und Radwerkstatt in der alten Sägehalle bekommen. Die kein Auto mehr fahren wollen, sondern alles zu Fuß, mit Rad oder Bahn erledigen, den Weg ins Büro etwa, wenn er überhaupt nötig werden sollte.

Träumer? »Eher Realisten«, sagt Fischer. Vor allem Berliner, die merkten, dass ihre Stadt sich verändert habe, immer lauter, hermetischer, teurer werde. Spätestens durch Corona habe sie »für viele als Lebensmittelpunkt an Bedeutung verloren«.

Kita-Mangel kennen sie in Wiesenburg nicht. Preiswucher ebenfalls nicht. Mit mehr als zehn Euro Wohngeld pro Quadratmeter ist das »KoDorf« zwar nicht billig, dafür haben die Genossen große Gemeinschaftsflächen und absolute Sicherheit: »Wohnrecht auf Lebenszeit klingt für viele Großstädter inzwischen attraktiver als Kredit bis ans Lebensende.«

Bis Ende des Jahres soll das vier Hektar große, ehemalige Industrieareal beräumt werden. 2024, hofft er, könnten die ersten Bewohner einziehen. Der Bedarf ist riesig, Fischers Genossenschaft wird mit Anfragen überhäuft. Angst, sein Projekt nicht voll zu bekommen, sagt Fischer, habe er nie verspürt. Gerade entsteht ein zweites KoDorf, dieses Mal in Nordrhein-Westfalen. Er könne »wohl fünf davon füllen«, sagt Fischer.

Seine einzige Sorge ist der Kredit. Banken ließen sich nur widerwillig auf die Finanzierung genossenschaftlicher, nicht gewinnorientierter Projekte ein. Weil die Gemeinde Fischer das Grundstück in Erbpacht überlässt, fallen vor allem Baukosten an. Doch schon die sind mit 20 Millionen Euro kalkuliert. Ohne Inflation. Gut möglich, dass die Genossen am Ende deutlich mehr aufnehmen müssen.

Fischer spart bei der Planung, wo er kann, will das Gelände mit zusätzlichen Häusern »nachverdichten«, bei den Gemeinschaftsflächen kürzen. Ob das die Banken überzeugt?

Wenn sie zu lange hadern, schnappt auch für Fischer und seine Genossen die Zinsfalle zu. Und der Traum vom Haus ist aus.